Serie "Unser Rhein" Das letzte Haus

Düsseldorf · Das Wohnhaus am Ende der Reisholzer Werftstraße in Düsseldorf ist bei jungen Menschen sehr begehrt - man sieht es ihm bloß nicht an.

Düsseldorf: Das letzte Haus der Reisholzer Werftstraße
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Von diesem Haus sollte nicht erzählt werden. Nicht, weil es gewöhnlich ist, sondern weil es genau das nicht ist. Wenn zu viele Menschen davon erfahren, dann sicher auch ein Immobilienunternehmer, und dann gibt es bald nichts mehr zu erzählen von diesem Haus. Am besten entwickeln sich die Dinge, wenn sie niemand beachtet.

Von diesem Haus sollte unbedingt erzählt werden. Weil es wichtig ist zu wissen, dass es solche Orte in Düsseldorf noch gibt und solche Menschen. Dass es auch anders geht.

Wer dieses Haus am Ende der Reisholzer Werftstraße zum ersten Mal sieht, ist vermutlich mit dem Fahrrad den Rhein entlanggefahren. Wenn er die abblätternde Farbe bemerkt und die leeren Räume im Erdgeschoss, könnte er leicht auf die Idee kommen, dass dort niemand mehr wohnt. Wenn er einmal ums Haus gegangen ist und das Banner unterm Fenster in der ersten Etage gesehen hat mit der Aufschrift "Hafenalarm" und die beiden riesigen Graffiti-Gemälde an den Außenmauern, wird er vermuten, hier lebten höchstens Hausbesetzer. Alles falsch. Trotz Baujahr 1907 ist dies ein reguläres Mietshaus, drei Etagen, Dachgeschoss. Und auch wenn es dem Haus nicht anzusehen ist: Es ist eine Erfolgsgeschichte. Alle zehn Wohnungen sind belegt.

Wer lange genug vor dem Haus wartet, trifft vermutlich als erstes auf Stephan Küpper. Vielleicht legt er gerade Pfandflaschen in den Fahrradanhänger auf dem Hof, vielleicht holt er gerade alte Kratzbäume aus dem Container vorm Haus, die die Tierbedarfshändler von oben dort hinterlassen haben. Der 31-Jährige wohnt zwar erst seit Ende 2013 in dem Haus, aber sowohl er als auch seine Wohnung passen dort so gut hin wie sonst niemand. Küpper trägt gerne einen Hut, als ginge er auf Safari, grüne Latzhosen, die Löcher in den Ohrläppchen hat er geweitet, um zwei Steine mit aufgemalten Schlangen-augen hineinzuhängen. An den Armen ist er tätowiert.

 Stephan Küpper hat eine Wohnung wie ein Museum. Je älter etwas ist, desto besser gefällt es ihm.

Stephan Küpper hat eine Wohnung wie ein Museum. Je älter etwas ist, desto besser gefällt es ihm.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Für die 77 Quadratmeter Altbau in der ersten Etage zahlt er 388 Euro warm. Das hat ihn sofort überzeugt, als er das Haus durch Zufall entdeckte bei einer Aktion von "Hafenalarm", einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Ausbau des Hafens richtet. Glücklicherweise war gerade eine Wohnung freigeworden. Er liebt Altbau, weil er alles Alte liebt. Da ist es ihm auch egal, dass 388 Euro warm nicht die Heizkosten umfasst, denn eine Zentralheizung gibt es nicht. Jede Wohnung hat einen Ofen, der sich mit Kohle oder Holz befeuern lässt. Das heiße Wasser kommt über einen Boiler.

Die Wohnung ist ein Unikum wie Küpper. Er hat sie vollgestellt mit alten Dingen, weil er so ungern Dinge wegschmeißt. In einem einzigen Zimmer lassen sich entdecken: ein hoher Stapel mit Koffern, eine Handvoll alte Radios, Schallplatten an der Wand, eine Sammlung von "Das lustige Taschenbuch", ein Aquarium, ein Ozeanposter, eine alte Nähmaschine. Und so weiter. Und so weiter. Renovieren will er aber nicht. Wer wisse denn, ob das Haus nicht bald baufällig und unbewohnbar werde, sagt er.

Küppers Leben hat nicht die gradlinigste Bahn genommen. Als Jugendlicher wird er Punk, prügelt sich mit Nazis, verliert viel Zeit, er ist ein zorniger junger Mann, der Schwierigkeiten mit Autoritäten hat. Eine Ausbildung zum Zootierpfleger und zur Fachkraft für Lagerwirtschaft bricht er ab. Mitte 20 merkt er, dass es so nicht weitergehen kann. Er macht eine Umschulung zum Landschaftsgärtner, die Natur lag ihm schon immer am Herzen. Seit sieben Jahren arbeitet er in der Werkstatt für angepasstes Arbeiten. Weil er Depressionen hat und er mit seinen psychischen Problemen dort gut aufgehoben ist. Er sagt, er sei viel ruhiger geworden und ausgeglichener. Doch wenn er, der Naturschützer, spricht, dann schwankt er zwischen engagiert und empört. Durch diesen Kerl wird immer Strom fließen. Sieht er einen angefahrenen Hasen, ruft er einen Tierarzt. Er fordert mehr Pfand auf Flaschen, höhere Strafen für Umweltverschmutzung. Küpper hat kein Auto, aber ein Fahrrad, auf das er erst steigt, wenn er sich den Helm aufgesetzt und die Warnweste angezogen hat. In seinem Garten in der Nähe baut er Kartoffeln, Tomaten und Paprika an.

Es ist nicht nur das alte Gebäude, das Küpper begeistert. Es ist auch die Gemeinschaft. Hier wohnt niemand anonym, fast alle haben miteinander zu tun, ob Anwalt oder Maler, von denen es im Haus gleich vier gibt. Eine kleine Oase haben sie sich gebaut, eine eingezäunte Grillstelle mit Pflanzen und Stühlen und an einer Wand ein Netz befestigt. Dort spielen sie eine Mischung aus Tennis und Squash.

So wie Küpper geht es vielen, die hier wohnen. Sie waren gar nicht auf der Suche nach einer neuen Wohnung, aber dann verliebten sie sich in das Haus und wollten unbedingt einziehen. Ute Wöhle, 55, ist Malerin und Steinbildhauerin. Als sie die alten Fenstergriffe im Erdgeschoss sah, wusste sie: Aus dem Haus kann man etwas machen. Nun ist sie damit beschäftigt, unten ihr Atelier einzurichten. Arbeiten, Ausstellungen organisieren, ohne Mühe einen Parkplatz finden. Geht alles. Die Hausgemeinschaft hat bereits mit angepackt und dabei geholfen, den Schutt abzutransportieren. "Die sind so mit dem Haus behaftet", sagt sie über die Bewohner. Sie ist nicht die einzige Künstlerin hier. In einem Anbau hat Cecily Park Atelier und Kunstschule untergebracht. Keine hundert Meter entfernt liegen die Räume vom Kunstverein "Kunst im Hafen". Dort arbeiten 18 Künstler in 16 Ateliers.

Während Wöhle sich auf das Haus freut, muss Vasco Albino Bras, 27, Maler, allmählich Abschied nehmen. Der Portugiese wohnt seit 20 Jahren mit seiner Familie hier, Mutter, Vater, später der jüngere Bruder. Aber er hat eine Freundin, sie wollen eine eigene Wohnung. Es wird ihm schwerfallen. Er liebt das Haus, er liebt die Gegend. Als Kind konnte er machen, was er wollte, der Rhein war sein Abenteuerspielplatz, den Keller nannten seine Freunde "Gruselkabinett", und als die Polizei erst mal sein Gesicht kannte, fragte sie ihn auch nicht mehr nach seinem Ausweis. Als der Henkel-Zug vorbeirollte, bebte manchmal das Haus. Heute leben noch zwei portugiesische Familien im Haus, einst waren es bis zu fünf.

Die Besitzerin des Hauses kann sich die Beliebtheit nicht so ganz erklären. Marlies Luhnau, 66, hat selbst nur ein Jahr in dem Haus gewohnt, nach der Hochzeit zog sie nach Monheim. Noch bis vor einigen Jahren sei es teilweise schwer gewesen, die Wohnungen zu vermieten, sagt sie. Die Leute wollten keinen Altbau, sondern modern wohnen. Luhnau ist die Urenkelin des ersten Besitzers Josef Adams, der das Haus 1907, als es gerade fertiggestellt war, erst mietete und 1909 kaufte. Im Erdgeschoss richtete er eine Gaststätte ein für die Hafenarbeiter, ein Lebensmittelgeschäft und einen Ballsaal, in dem am Wochenende die Leute aus der Gegend zum Tanzen zusammenkamen. In den übrigen Geschossen baute er Wohnungen. Die Zeiten des Ballsaals hat Luhnau nicht mehr miterlebt, eine Kneipe habe es bis in die 80er gegeben. Wegen der Krise des Hafens lohnte sich die nicht mehr. Einst schloss sich an das Haus gleich ein weiteres an. Das aber wurde in den 70ern abgerissen, wenn sie die Erinnerung nicht trügt. Daneben war mal eine Fabrik. Auch die ist verschwunden. Nun steht neben einer wilden Wiese ein wildes Haus.

Luhnau weiß, dass das Haus von außen nicht den besten Eindruck macht. Gerne würde sie es renovieren lassen, aber sie will in ihrem Alter nicht noch Schulden aufnehmen. Das Haus ist nie modernisiert worden, die Fassade wurde mal neu gestrichen und Doppelglas-Fenster eingesetzt. Renovieren oder nicht renovieren - diese Frage wird sich dann ihr Sohn stellen müssen, der Erbe. Das wäre die fünfte Generation. Doch weil sie nicht renovieren lässt, erhöht sie auch die Mieten nur mäßig. Zwei Wohnungen haben die Toilette noch auf dem Flur, da möchte sie nicht anfangen, hohe Mieten zu nehmen. Günstiger ist Altbau in Düsseldorf kaum zu haben. "Das Haus wirft sicher nicht viel ab", sagt sie.

Dass sie in den vergangenen Jahren keine Probleme mehr hatte, die Wohnungen zu vermieten, hat auch mit Kai Kievel zu tun. Vorher wohnten dort vor allem Familien und ältere Leute, Kievel, 35, Raumausstatter, ist der Erste einer jungen Generation von Mietern. Als Kievel das Haus zum ersten Mal sah, gefiel es ihm so gut, dass er einen Zettel an die Tür pinnte mit der Bitte, sich zu melden, wenn eine Wohnung frei werde. Seine Bekannten rieten ihm ab. Als er eingezogen war und die Wohnung nicht nur renoviert, sondern saniert hatte, wollten sie plötzlich auch einziehen. Und so kamen weitere junge Leute ins Haus.

"Herr Kievel, Herr Küpper will in seine Wohnung nicht investieren, weil er Angst hat, dass das Haus baufällig und dann abgerissen wird."

"Ach, der soll sich mal nicht solche Sorgen machen."

(RP)
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