Von Köln/Bonn nach Rhodos Experten gehen nach Horrorflug von „Fume Event“ aus

Bonn · Der Horrorflug von Köln/Bonn nach Rhodos, bei dem mehrere Passagiere bewusstlos wurden, wurde offenbar durch ein „Fume Event“ ausgelöst. Dabei gelangen giftige Gase ins Flugzeuginnere. Das Problem ist bekannt, wird aber von Airlines und Herstellern verharmlost.

 Bei einem Fug nach Rhodos wurden mehrere Passagiere ohnmächtig (Symbolbild)

Bei einem Fug nach Rhodos wurden mehrere Passagiere ohnmächtig (Symbolbild)

Foto: dpa/Robert Michael

Der Zwischenfall bei einem Flug von Köln/Bonn nach Rhodos, bei dem mehrere Passagiere bewusstlos wurden, ist offenbar gravierender, als zunächst angenommen. Experten gehen davon aus, dass es sich dabei um ein sogenanntes Fume Event handelte, bei dem giftige Verunreinigungen in die Flugzeugluft gelangten. „Die Problematik ist seit vielen Jahren bekannt und kann Langzeitfolgen haben, weltweit laufen dazu Gerichtsverfahren“, sagt Dieter Scholz, Professor für Flugzeugentwurf, Flugzeugsysteme und Flugmechanik.

Mehrere Passagiere, die am 1. Oktober an Bord der Maschine von Corendon Airlines Europe waren, haben sich nach einem ersten Bericht im General-Anzeiger gemeldet. Sie alle berichten über einen „Horrorflug“, den sie erlebt haben. Eine halbe Stunde nach dem Start fielen nacheinander vier Passagiere in Ohnmacht, eine Frau hatte einen epileptischen Anfall. Unter den Reisenden war eine Zahnarzthelferin, die mit ihrem Freund direkt neben einem Bonner saß, der bewusstlos wurde und kurzzeitig einen Herzstillstand erlitt. Kurz zuvor war eine Frau im Gang in Ohnmacht gefallen. „Als die beiden wieder zu sich kamen, ging es vorne weiter“, erzählt der Freund.

Vorne saß etwa Lena Meyer. Sie berichtet: „Die Frau zwei Reihen vor mir ist immer wieder kollabiert, sie hatte einen epileptischen Anfall. Ein Arzt kam dazu, um sie zu versorgen. Aber er wurde auch zu anderen Stellen gerufen“, sagt sie. Was genau passierte, konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht einordnen. Auch nicht Daniel Meyer, der seinen Platz in der Mitte des Fliegers hatte. „Die Leute haben geschrien, es entstand Panik. Die Crew war völlig überfordert. Obwohl sie darum bat, notzulanden, kam der Pilot der Forderung nicht nach“, erzählt er. Etwa ein halbe Stunde dauerte die Situation, die Menschen im ganzen Flieger betraf. Danach hätte sich ihre Lage stabilisiert. Am Zielflughafen seien manche dann von einem Arzt untersucht worden – festgestellt wurde nichts. Und auch die Maschine startete kurz darauf wieder, wie ein Sprecher von Corendon Airlines erklärt. Demnach seien bei Überprüfungen keine technischen Defekte festgestellt worden.

Giftige Stoffe gelangen in die Kabine

Was die Ursache der Ohnmachtsanfälle ist, darüber rätseln die Betroffenen immer noch. Von der Airline oder den Behörden gab es keine näheren Informationen. Für den Luftfahrtexperten Dieter Scholz, der Fume Events (Rauchereignisse) seit Jahren untersucht, ist die Diagnose ziemlich eindeutig. „Es gibt einen Katalog von etwa 20 Symptomen, die auf so einen Vorfall hinweisen.“ Der Geruch von alten Socken oder öligen Ausdünstungen seien unverwechselbare Indizien dafür. „Das kommt täglich vor, fällt aber durch die Masse der Flüge nicht so auf. Das Ereignis, was Passagiere aus Bonn erlebt haben, ist aber sehr akut.“ Oftmals bliebe es nur bei Kopfschmerzen oder Unwohlsein. Bei einigen äußerten sich die Folgen aber auch erst später. „Manche merken zum Beispiel, dass sie bei Belastung schneller um Luft ringen müssen.“

Eine Frage des Geldes?

Dass so etwas überhaupt passieren kann, sei laut Scholz bauartbedingt. „Flugzeuge saugen die Luft für die Kabine durch die Triebwerke an.“ Dabei komme es immer wieder vor, dass auch chemische Stoffe aus dem Triebwerk in die Luft gelangen, obwohl sie dort nicht hingehören. Mal nimmt man sie als Rauch war, mal sind es Gerüche. Davon seien grundsätzlich alle Modelle betroffen, die einen mehr, die anderen weniger. Denn die Technik, die dahintersteckt, sei überall ähnlich. Nur die Dreamliner von Boeing seien eine Ausnahme, weil sie ein anderes System benutzten. Auf eine Anfrage unserer Redaktion zum Flug nach Rhodos an Bord des Modells 737-800 will sich das Unternehmen dennoch nicht äußern.

„Hersteller und Airlines wissen von dieser Problematik. Am Ende geht es um Geld“, sagt Scholz. Luft über das Triebwerk anzusaugen, sei die günstigste Variante. Und auch die Umrüstung für bereits gebaute Flugzeuge sei teuer. Ganze Flotten müssten neue Filteranlagen erhalten. Selbst Sensoren, die Abgase in der Kabinenluft erfassen können, würden nicht eingebaut. „Dadurch gibt es nichts, was so einen Vorfall aufzeichnet. Es liegt an der Ehrlichkeit der Airline, Passagiere zu informieren“, sagt Scholz.

UFO-Gewerkschaft: Flugbegleiter häufiger Giften ausgesetzt

Weltweit laufen Gerichtsprozesse, die aber meist von Piloten und Flugbegleitern geführt werden. Im Gegensatz zu Passagieren sind sie deutlich häufiger den Giften ausgesetzt, wie ein Vorstandmitglied der Flugbegleitergewerkschaft Cockpit erläutert. „Die Airlines spielen das gerne runter. Es gibt da große Unterschiede.“ So hätten die großen häufig ein internes Meldesystem etabliert. Dort gebe es auch Betriebsärzte, die das genau untersuchten. „Je kleiner und je billiger eine Airline ist, desto weniger eigene Strukturen haben sie für diese Verfahren.“ Die meisten Flugbegleiter seien für Fume Events sensibilisiert. „Sie können den Passagieren anordnen, durch Textilien zu atmen oder sie sektionsweise umsetzen, da die Abgase meist punktuell austreten.“

Auf dem Weg nach Rhodos ist das laut der Passagiere allerdings nicht passiert – zudem war der Flieger mit 180 Reisenden fast voll besetzt. Ein wirksame Möglichkeit zu reagieren, hätten Crew und Pilot nicht. „Man kann nur einen Sinkflug einleiten und die Kabinenbelüftung für ein paar Minuten ausschalten“, erklärt der Gewerkschaftsvorstand. Doch auch dann müsste sie wieder angeschaltet werden, weil es keine alternative Luftzufuhr gebe.

Dieser Artikel ist zuerst im Bonner Generalanzeiger erschienen.

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