Türkei Nach allen Regeln der Kunst

Kappadokien ist ein einzigartiges Kunstwerk aus Felsen, schicken Höhlenhotels aus löchrigem Tuffstein und atemberaubenden Schluchten.

 Die Tuffsteinlandschaft bei Göreme mutet märchenhaft an.

Die Tuffsteinlandschaft bei Göreme mutet märchenhaft an.

Foto: Martina Katz

Bariş Pehlivan dreht den Brenner auf und lässt die erhitzte Luft wie einen fauchenden Feuerstrahl in seinen Heißluftballon strömen. Der 39-jährige Pilot grinst und legt noch ein wenig nach. Sofort steigt der gelb-blaue Ballon weiter gen Himmel und schwebt dann lautlos über das berühmte kappadokische Liebestal. Sandfarbene Tuffsteingebilde hoch wie ein Baukran recken sich hier den ersten Sonnenstrahlen entgegen, dazwischen grüne Pappeln, ab und zu ein kleiner Weinacker. „Um sechs Uhr in der Frühe gibt es hier draußen kaum Thermik“, schwärmt Bariş und lenkt seinen Ballon ganz nah an einer Steinspitze vorbei. Die Touristen im Ballonkorb jubeln.

Bariş Pehlivan ist einer von vier Dutzend Piloten, die an diesem Morgen ihre bunten Heißluftballons in den Himmel über die märchenhafte Tuffsteinlandschaft Zentralanatoliens treiben. Eine Fahrt entlang hunderter schneeweißer Baisertorten und überdimensionaler Pilze, so scheint es. Tatsächlich ist der Nationalpark Göreme, wie die Unesco das türkische Welterbe zwischen den Städtchen Nevşehir, Avanos und Ürgüp seit 1985 nennt, in mehreren Millionen Jahren durch die Arbeit von Wind und Wasser entstanden.

 Über eine Million Haarsträhnen hat Töpfermeister Galip Körükcü inzwischen in seinem Haarmuseum in Avanos gesammelt.

Über eine Million Haarsträhnen hat Töpfermeister Galip Körükcü inzwischen in seinem Haarmuseum in Avanos gesammelt.

Foto: Martina Katz

In Göreme, dem zentralen Ort, der dem Nationalpark seinen Namen gab, sprießen die Steinkegel zwischen Häusern aus dem Boden, einige so glatt wie Samt, andere durchlöchert wie ein Schweizer Käse, viele von innen hohl – die kappadokischen Höhlenwohnungen. In der Müze Caddesi, der Dorf-Hauptstraße, stehen Souvenir- und Teppichläden nebeneinander. Gegenüber genießen Touristen und türkische Familien lokale Spezialitäten in den Restaurants. Die gut 2000 Einheimischen wohnen dazwischen in ihren traditionellen Behausungen noch immer eher spartanisch.

Im Nachbardorf Uçhisar, das sich auf dem höchsten bewohnten Plateau Kappadokiens an einen Burgberg schmiegt, sind Straßen und Gassen menschenleer. Nur im kleinen Zentrum vor einer Handvoll türkischer Läden webt ein Mann an einem Teppich. Noble Höhlenhotels mit Pool und Jakuzzi blicken hier aus den durchlöcherten Bergflanken. Dazwischen ragt das Minarett von Uçhisar hervor. Die Touristen zieht es auf die Spitze des Burgberges. Innere und äußere Treppen führen sie zur atemberaubenden Aussicht auf die Landschaft.

Höhlen, nicht nur heute ein beliebter Wohnraum

Schon vor mehr als anderthalb Jahrtausenden nutzten Mönche den weichen Tuff für ihr Einsiedlerleben, gruben das feine Material aus dem Stein und schufen damit die ersten Höhlenwohnungen. Als später die Araber die damals römische Region attackierten, dehnten die christlichen Bewohner ihr Höhlennetz zum eigenen Schutz aus. Unterirdische Schächte entstanden und verbanden die Feenkamine. Ganze Städte für etliche tausend Menschen legten die Christen unterirdisch an, mit Ställen, Wohnräumen, Schulen und Kirchen, auf mehreren Etagen bis zu 85 Meter tief. In Derinkuyu und Kaymakli sind diese Handwerkerleistungen zu bestaunen. Im Göreme Open Air Museum locken Wandmalereien in den Höhlenkirchen ganze Busladungen an. Die Unesco hat für Kappadokien mehr als 200 Höhlenkirchen ausgemacht.

Die 15 Kilometer lange Ihlara-Schlucht im Süden beherbergt Felsenkapellen aus verschiedenen Epochen in ihren hundert Meter tiefen Hängen. Wunderschön mit bunten Malereien verziert, verstecken sie sich hinter dem saftigen Schluchtengrün. Nirgendwo ist Kappadokien so fruchtbar wie hier. Frösche quaken, Vögel zwitschern, Schmetterlinge und Libellen tanzen in der Luft zwischen Gras, Pappeln und Schatten spendenden Weiden. Mittendrin der Melendiz, der mal einen plätschernden Gebirgsbach, mal einen rauschenden Fluss abgibt. Die Einheimischen sagen, er hätte die 14 Kilometer lange, einsame Wanderidylle geschaffen als er mit immenser Beharrlichkeit den Stein aufbrach.

Was der Melendiz für die Ihlara-Schlucht, ist der Kizilirmak, der Rote Fluss, für die Töpferstadt Avanos. Seit Jahrtausenden liefert der längste Fluss der Türkei den eisenhaltigen Ton für das hiesige Töpfer-Handwerk. „Noch bis in die 1980er Jahre waren die Werkstätten eine reine Männerdomäne“, weiß Galip Körükcü. Der Inhaber der Töpferei Chez Galip war einer der ersten, der auch Frauen die traditionelle Kunst lehrte. Heute sind seine Kurse weit über Kappadokien hinaus gefragt. Die meiste Aufmerksamkeit jedoch erregt der Mann, der mit seinem Aussehen an Albert Einstein erinnert, mit etwas anderem: dem Haarmuseum. „Vor 35 Jahren hinterließ mir eine Freundin die erste Haarsträhne“, erzählt Galip in der Felsenhöhle unterhalb seines Verkaufsraumes. „Inzwischen habe ich an die eine Million Strähnen an Decke und Wänden“, der Töpfermeister lacht. Den Tuffstein sieht man in seinem Haarmuseum schon lange nicht mehr. Aus der einstigen Sammelleidenschaft ist ein Geschäft geworden. Frauen und Männer aus der ganzen Welt kommen an diesen skurrilen Ort, geben eine Strähne, kaufen vielleicht sogar eine Vase und gehen wieder in der Hoffnung auf den Gewinn der jährlichen Verlosung: eine Reise in das Land, wo sich die Natur nach allen Regeln der Kunst so austobt wie ein Töpfer in seiner Werkstatt.

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