Glockenstadt Gescher An die große Glocke hängen

Gescher · Neben der Glockengießerei gibt es in Gescher weitere klingende Sehenswürdigkeiten.

 Die traditionsreiche Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock ist seit 1690 im westfälischen Gescher ansässig.

Die traditionsreiche Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock ist seit 1690 im westfälischen Gescher ansässig.

Foto: dpa-tmn/Bernd F. Meier

Unwillkürlich wird man an Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ erinnert: „Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt...“ Was der Dichter Ende des 18. Jahrhunderts nicht ahnen konnte: Auch heute arbeiten die Glockengießer, so wie es in seinem Gedicht vor mehr als 200 Jahren geschildert wird.

Der geführte Rundgang durch die Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock ist eine der Stationen des Besichtigungsprogramms Gescheraner Dreiklang, bei dem die Touristen außerdem im Kirchturm den Glocken ganz nahe kommen und das Westfälische Glockenmuseum besuchen.

Nur im Abstand von vielen Monaten entstehen heutzutage Bronzeglocken in der traditionsreichen Gießerei, die seit 1690 ihren Sitz im westfälischen Gescher hat. Die Aufträge von Kirchengemeinden seien zurückgegangen, berichtet einer der Glockengießer. Stattdessen arbeiten die 24 Beschäftigten häufiger an Kunstgüssen. Darüber hinaus übernehmen sie Wartungs- und Reparaturarbeiten in ganz Deutschland.

Früh morgens haben die Glockengießer an diesem Tag begonnen, den Schmelzofen mit Braunkohlestaub anzuheizen und mit Zinn und Kupfer zu beschicken. Vier Bronzeglocken für die St.-Albani-Kirche in Göttingen sollen heute entstehen, die beiden größten werden 3400 Kilogramm wiegen. Flammen schlagen hin und wieder aus den Kaminen in den nächtlichen Himmel. Am Nachmittag ist die rotglühende Schmelze bereit für den Abstich.

Mehrfach wird die Ofenklappe geöffnet, mit einem groben Birkenstamm die Glockenspeise genannte Schmelze verrührt. Fast neun Tonnen Metall brodeln im Schmelzofen. Hitze schlägt den Männern entgegen, mehr als 1100 Grad beträgt nun die Temperatur. Proben werden entnommen und von den Glockengießern begutachtet. Stimmt die Zusammensetzung der Bronze-Legierung aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn?

Gebete werden gesprochen, die Glockengießer bekreuzigen sich. „In Gottes Namen“, erhallt der Ruf. Ein paar kräftige Hammerschläge auf den Zapfen, und die rotgelbe Bronze quillt aus dem Ofen, bahnt sich wie ein glühender Lava­strom den Weg durch Rinnen. Sie verschwindet in den Öffnungen im Boden, wo in den Wochen zuvor die Gussformen aus Lehm in der Glockengrube festgestampft wurden. Qualm steigt auf, Flammen lodern, angespannt überwachen die Männer den Gussvorgang. Das Ergebnis können sie erst einige Wochen später sehen, wenn die Glocke richtig erkaltet ist.

Doch wie werden die Glocken später zum Schwingen und Klingen gebracht? Um das herauszufinden, geht es beim Gescheraner Dreiklang hinauf in den Turm der Pfarrkirche St. Pankratius, über 200 steinerne Stufen und knarrende Holzstiegen. Josef Leinen und Reinhold Löring erklimmen immer wieder den neugotischen Kirchturm. Und sind mächtig stolz darauf, die fünf Glocken und das Läutewerk den Besuchern aus nächster Nähe zu zeigen. „Glocken liegen mir am Herzen“, bekennt der 71 Jahre alte Löring. Schon als Kind durfte er sie manchmal läuten: „Mein Opa war Küster von Sankt Pankratius.“

Das Geläut mit einem Gesamtgewicht von mehr als 7000 Kilogramm wurde im Jahr 1949 gegossen und stammt – kaum verwunderlich – aus der nur wenige hundert Meter entfernten Gießerei. „Manchmal nehmen wir einen Gummihammer mit, damit dürfen die Gäste auch mal selbst die Glocken anschlagen und zum Klingen bringen“, sagt Leinen.

„Glocken sind nicht nur ein bedeutendes Symbol des Christentums, sondern auch ein Zeugnis großer Handwerkskunst“, sagt Hendrik Sonntag beim Rundgang durch das Westfälische Glockenmuseum. Die Sammlung wurde 1980 aufgebaut und zeigt über 1000 Glocken und Glöckchen. Von der tonnenschweren Kirchenglocke über Schiffsglocken, der Glocke eines Stammtisches und Kuhglocken bis zum zart klingenden Glöcklein einer Hotelrezeption reichen die Exponate aus kirchlicher und weltlicher Nutzung.

Besucher unternehmen in dem einzigartigen Museum in Nordrhein-Westfalen eine klingende Zeitreise durch viele Jahrhunderte. Schließlich stammen die beiden ältesten Glocken der Ausstellung aus der Zeit um Christi Geburt. Sie sind Grabungsfunde aus dem Römerlager bei Haltern am See.

„Unsere Glocken sind Musikinstrumente mit Geschichte und interessanten Geschichten“, sagt Museumsleiter Sonntag. Die Sammlung präsentiert eine Kirchenglocke, die 1602 in dem münsterländischen Dorf Osterwick durch Friedrich von Büttgen gegossen wurde. „Dokumente belegen, wie er sich die Arbeit bezahlen ließ: in Geld- und in Sachleistungen, beispielsweise Unterkunft und Verpflegung.“ Wie damals üblich kam der Handwerker als Wandergießer nach Osterwick, baute neben der Kirche den Schmelzofen mit der Glockengrube auf. Auf die 1,2 Tonnen schwere Glocke setzte er seinen Namen, der auch über 400 Jahre später dort noch zu lesen ist.

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