Wichtige Studie zum Hitler-Gruß

War ja bloß eine Geste. Hat schließlich auch fast jeder gemacht. Und ansonsten ließ sich über den so genannten deutschen Gruß "Heil Hitler" ganz trefflich spotten: Karl Valentin jedenfalls bemerkte, wie glücklich es sei, dass Hitler nicht Adolf Kräuter "ghoaßn hat". Denn wie dümmlich klänge dann der deutsche Gruß. Doch zum Scherzen war diese Geste aus barbarischer Zeit – die seit Juli 1933 zum Pflichtgruß auf Dienststellen wurde – natürlich nicht. Mancher, der den Gruß verweigerte, wurde ins KZ geschleppt.

Auch daran lässt sich ablesen, dass der Hitler-Gruß viel mehr als eine Formalie war, wie es der Frankfurter Sozialpsychologe Tilman Allert in einer jetzt bei Reclam veröffentlichten und sehr lesenswerten Studie nachweist. Nach seinen Worten ist dieser Gruß ein Stück praktischer Nationalsozialismus, mit dem das Regime an die Privatsphäre der Menschen heranrücken konnte. Denn plötzlich wird mit jeder Begegnung der Menschen der Nazi-Führer gegenwärtig.

Und hier entfaltet der Gruß seine unterschwellige Macht. Nur selten übergeben die Menschen die Moderation ihrer Begrüßung einer dritten, höher gestellten Person – bis auf eine Ausnahme: "Grüß Gott". Hitler ist nicht der Schöpfer, aber er tritt im Gruß an dessen Stelle und wird so zu einem Führer, der irdisches Heil verspricht. Er wird in jeder menschlichen Begegnung aufs Neue zur angerufenen und fast sakral anmutenden Instanz. Der Gruß dokumentiert den vermeintlichen Führungsanspruch Hitlers; und in diesem Sinne wird die Geste, so Tilman Allert, zu einer "mechanischen Zweifelsfreiheit". Und all jene, die den Arm heben und Hitler das Heil wünschen, bekräftigen ihre soziale wie geistige Zugehörigkeit zu dieser deutschen Diktatur. Außerdem hatte die Art der Geste etwas Militärisches an sich; auch schien sie einem Schwur zu ähneln. Dazu passt, wie exakt die Grußbewegung geregelt wurde. In einem Erlass aus dem Jahre 1935 heißt es, dass Menschen mit entsprechender körperlicher Behinderung auch der linke Arm zum Gruß erlaubt ist. Dagegen wird 1937 ein generelles Grußverbot für Juden erlassen. Deren Fürsprache wollte Hitler nicht.

Wie ein "Spuk", so Allert, ist der Hitlergruß nach Kriegsende aus der Öffentlichkeit verschwunden. Aber er lebt noch in Chiffren fort. So wählt sich manch Unbelehrbarer ein Kfz-Nummernschild mit der Buchstaben-Kombination "HH", andere benutzen die Stellung des Buchstabens im Alphabet und lassen aufs Blech die "88" prägen.

Info Tilman Allert: "Der deutsche Gruß". Geschichte einer unheilvollen Geste. Reclam-Verlag, 130 Seiten, 8,95 Euro

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