Hörenswerte Zeitreise Der frühe Springsteen in einer Box

(RP). Nur er kann so bewegend darüber singen, wie es sich anfühlt, in Amerika jung gewesen zu sein. Die Helden in den Liedern von Bruce Springsteen sind Typen, die sich die Ärmel ihrer T-Shirts bis zur Schulter aufkrempeln, sie riechen nach Motoröl, nennen ihre Freundinnen "Mädchen" oder "Baby" und leben ihre Gefühle auf der Straße aus.

Das sind leicht modernisierte Geschichten aus einem Milieu, das der Film "The Wild One" mit Marlon Brando bereits 1953 ins Bild brachte. Wehmut durchzieht Springsteens Platten, das Gefühl zu kurz gekommen zu sein, irgendetwas verpasst zu haben.

So war das immer bei ihm, das fasst einem ans Herz, und es fängt schon auf dem ersten Album an: "Greetings From Asbury Park, N. J." erschien 1973. Überhaupt enthalten gerade die frühen Platten den ganzen Springsteen; alles, was ihn ausmacht, und deshalb ist es gut, dass die ersten sieben nun gesammelt in einer preiswerten Box mit dem Titel "The Collection 1973-1984" herausgebracht werden. Man kann jetzt sehr schön nachvollziehen, wie aus dem Flusenbart aus New Jersey der "Boss" wurde.

Am Anfang suchte er noch, er wusste nicht wohin, er war ein Rocker, der die alten Helden des Country verehrte. Und damals schon, Mitte der 70er, gelangen ihm große Songs, "Blinded By The Light" und "Spirit In The Night". 1975 kam mit der dritten Platte der Durchbruch, "Born To Run" strotzt vor Kraft, das Saxofon keift, die Gitarre schreit, und alles ist so überladen, dass es summt und brummt. Das Magazin "Newsweek" hob ihn auf den Titel: "Ein Rockstar wird geboren", die gewaltigste Karriere des amerikanischen Rock 'n' Roll nach Elvis und Dylan hatte begonnen.

Zur Zeit, da die hier versammelten Alben erschienen, war die Welt Springsteens noch die seiner Figuren. Nach dem Mega-Erfolg von "Born In The USA", das sich seit 1984 allein in Amerika 15 Millionen Mal verkaufte, fragt man sich bei jeder neuen Veröffentlichung, ob da ein Bessergestellter nicht bloß darüber philosophiert, wie es wohl ist, ein Verlierer zu sein und als Kleinkrimineller seinen Weg zu finden. Damals indes war er selber ein Loser: mieser Plattenvertrag, die Sache mit den Frauen, so viel Wut.

Am besten ist Springsteen, wenn er Melancholie und Übermut ausbalanciert wie in "Dancing In The Dark". Und wenn er auf die Kraft seiner Mini-Epen vertraut. Insofern ist "Nebraska" von 1982 seine intensivste, seine großartigste Platte. Man hört nur seine Stimme, dazu akustische Gitarre und Mundharmonika. Er hat die Songs daheim aufgenommen, es sind eigentlich Demos, karg, aber von unfassbarer Intensität. Springsteen erzählt Familiendramen, er versucht, Kindheit noch einmal spürbar zu machen, und er lässt Mörder vor Gericht ihre inneren Monologe ausbreiten. Hier ist Springsteen ganz bei sich.

Sänger der Sehnsucht, Storyteller, Kraftprotz, Fürsprecher: Springsteens frühen Platten wieder zu begegnen, ist sehr schön.

(RP)
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