Berlin Kaffeefahrt mit Grönemeyer

Berlin · Herbert Grönemeyer stellte seine neue CD "Schiffsverkehr" in Berlin bei einer Bootstour auf der Spree vor. Deutschlands erster Seelen-Poet singt darauf viel von der Liebe, aber auch vom Krieg in Afghanistan. Musikalisch geht er weit zurück in die 80er Jahre.

Grönemeyer kann vor allem solche Herzen rühren, die den größten Teil ihres Lebens im alten Westen geschlagen haben. Da sitzt man also auf einem überheizten Spreedampfer bei Bulette und Kännchenkaffee. Auf den Tischläufern stehen Wimpel, die mit dem Titel des neuen Albums von Deutschlands Seelen-Poeten bedruckt sind: "Schiffsverkehr". In dieses Berlin, das es längst nicht mehr gibt, hat die Plattenfirma geladen. Während der Fahrt auf Flachwasser dürfen Presse und Fans die morgen erscheinende Platte erstmals hören.

Ein dicker Mann in teurer Kleidung bedeutungshubert zur Begrüßung, dass "der Herbert" sich mal wieder selbst erfunden habe, und "nachher wird er auch noch zu euch sprechen". Es riecht nach dem Wasser, das übrig bleibt, wenn man die Bockwürste aus dem Topf genommen hat. Dann gibt er das Signal zum Einschalten des CD-Players. Einige Leute fotografieren die Lautsprecher. Da ist der Herbert drin!

Alle gucken todernst, obwohl die Lieder durchaus lustig sind. "Kreuz meinen Weg" etwa beginnt wie ein früher Song von Unheilig. "Ich suche einen, der sich stellt", grummelt Grönemeyer in einer Tonlage, die sich bestens zum Einlesen der Erzählungen von Edgar Allan Poe eignet. Der Song ist eine Wuchtbrumme, wie sie seit 25 Jahren nicht mehr gebaut wird.

Überhaupt ist das eine Rückkehr in die 80er Jahre. "Zu dir" geht als Hommage an Rio Reiser durch, und da ist wieder dieser leicht alberne Kumpeltyp-Humor, den man von "Currywurst" und "Mambo" kennt: "Monotonie ist wie ein Schuss ins Knie", heißt es in "Fernweh" und "Ich leb mit mir in trauter Einsamkeit / Lass die anderen für mich stehen" in "So wie ich". In "Deine Zeit" wird er nachdenklich, das Lied thematisiert die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter.

Drei klassische Grönemeyer-Balladen gibt es, die eine ist ganz großer Kitsch: Stadion, open air, schon dunkel, Piano, Feuerzeug, Paarbildung. "Du bist mein unfassbarer Grund", säuselt Grönemeyer, und man hofft, das Boot erreichte nun eine Schleuse und würde auf eine andere Ebene gehoben. Aber draußen rumpelt bloß ein gammeliger Pott vorbei, an seinem Bug steht: "Dschingi's Kahn".

Grönemeyer experimentiert viel mit seiner Stimme, vielleicht ist das die versprochene Neuerfindung. Er legt ordentlich Hall auf, lässt das Schlagzeug in den Vordergrund mischen, heult mit bräsigen Gitarren im Duett, schickt die Worte durch den Verzerrer. Ganz wild hört sich das an in "Auf dem Feld", ein Stück über den Krieg in Afghanistan, was man aber erst kapiert, als man es gesagt bekommt. Ansonsten fällt auf, dass Grönemeyer sich nicht kurzfassen kann, er quatscht seine Lieder voll wie P. Diddy. Und er inszeniert sich in den teils eine Seite langen Texten immer noch als Traumprinz aus der Doppelhaushälfte am Ende der Straße, das ist Populär-Romantik für Dienstage. Er ist der weiße Ritter, der die Termine für die Müllabfuhr am Kühlschrank hängen hat. Und: Er singt, er presst nicht mehr. Ohoho-ho-ho-höh war einmal. Die Platte klingt frei, leicht gaga und jung.

Man darf sich nach Ende der CD drei Lieder wünschen, die noch einmal gespielt werden, dann legt das Boot vor dem Haus der Kulturen hinter dem Reichstag an. Dort spricht er nun, es riecht nach den Spiritusbrennern, die das Buffet warm halten. Fans, die per Radio zugeschaltet werden, dürfen Fragen stellen. Fan 1: "Deine Texte sind Lyrik pur. Was liest du gern?" Er: "Gedichte von Mascha Kaléko." Fan 2: "Welche Erfindung fehlt der Welt?" Er: "Dass man aus Algen Benzin brauen kann." Fan 3: "Was sagst du zum Atom-Moratorium?" Er: "Das Wort versteht man nicht. Die müssen sich nicht wundern, wenn ihnen niemand mehr zuhört. Augenwischerei! Für wie dumm halten die uns? Alle Fluglinien sollten lieber nach Japan fliegen und die Kinder da rausholen." Irgendwas mit Westen, Moral und Überdenken geht im Applaus unter.

Grönemeyer redet mit den Fans wie ein kinderloser Endvierziger mit den halbwüchsigen Zwillingstöchtern seines Bruders: "Sitzen meine Haare gut? Ich wollte es besonders schön machen. Ich bin nicht so spontan, wisst ihr. Und ich bin sprachlich limitiert." Die niedliche Beflissenheit weicht indes allmählich einer Tiefenentspannung. Grönemeyer wird lockerer. Er merkt, dass die Platte bei den meisten gut ankommt. Er grinst, macht sogar ein paar Tanzschritte, fasst sich sogleich in gespieltem Schmerz ans Bein: "Aua." Er wirkt wie jemand, der soeben beschlossen hat, demnächst mal wieder ins Hallenbad zu gehen.

Man möchte dann gern noch wissen, was er mit dem Text der neuen Single "Schiffsverkehr" eigentlich sagen wolle, denn der ist ja eher schwer zu begreifen. "Das Leben ist ein schöner Kinofilm", antwortet Grönemeyer. "Da geht's lang, sagt das Lied. Das habe ich in Schweden geschrieben, in den Schären. Schiffe sind ein Symbol für Freiheit, für Sommer und den Aufbruch." Alle nicken, stimmt, hat er Recht.

Irgendwo werden Korken mit heftigem Quietschen aus Flaschenhälsen gerissen. Bierdunst zieht durch den Saal wie in einem Fetenkeller. Es riecht nach Mensch. Man würde jetzt gern "Flugzeuge im Bauch" hören. Spät geht es hinaus in die Nacht. Auf den Lippen ein Lied – es ist von Herbert Grönemeyer: "Wenn die Libellen schwirren / Weil es Sommer wird / Will ich zu dir".

(RP)
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