Leipzig Was von der großen Buchstadt Leipzig bleibt

Leipzig · Besser kann's nicht laufen: Termingerecht zur Buchmesse in Leipzig hat der aktuell berühmteste Sohn der Stadt sein Tagebuch veröffentlicht. Wahrscheinlich sein letztes Werk, wie Erich Loest zum 85. kürzlich spekulierte. Ein literarisches Vermächtnis jenes Mannes also, der seiner Heimatstadt Leipzig mit dem Roman "Nicolaikirche" ein Denkmal des Widerstands setzte und dem Osten Deutschlands mit seiner Haltung ein Beispiel der Aufrichtigkeit gab: Mit siebeneinhalb Jahren im Zuchthaus von Bautzen hat er für seine Kritik am Arbeiter- und Bauernstaat zahlen müssen.

Doch es ist keine vorzeigbare Heldengeschichte geworden. Das Tagebuch beginnt mit unschönem Familienknatsch, mit der juristischen Fehde gegen den Sohn, der Verleger ist und früher die Bücher des Vaters publizieren durfte.

Vielleicht ist das symptomatisch für die Gegenwart einer Stadt, die seit dem 17. Jahrhundert und bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "die" deutsche Buchstadt war. Und noch zu DDR-Zeiten hatten dort 32 Verlage ihren Sitz – darunter die inzwischen geschlossenen Büros von Reclam, Insel und Brockhaus; hier saß der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts natürlich in Leipzig gegründet worden war; am Johannes R. Becher Institut lernten Jungautoren ihr Handwerk (heute besteht noch das Literaturinstitut) wie auch die künftigen Buchhändler und Verlagsmitarbeiter aus Deutschland.

Zu besichtigen ist die imposante Buch-Vergangenheit heute in den Ruinen der Verlagssitze. Und so wirkt das City-Hochhaus im Zentrum – mit 142 Metern in den 70ern das höchste Haus Deutschlands – in seiner Form des aufgeschlagenen Buches wie ein Mahnmal. Es gibt noch die Deutsche Nationalbibliothek, die erweitert wird, und es gibt die morgen startende Buchmesse, die 1995 aus der City nach Wiederitzsch zog. Mit Frankfurt kann Leipzig nicht konkurrieren, nicht mit seiner Größe und erst recht nicht wirtschaftlich. An der Pleiße werden keine Aufträge geordert und keine lukrativen Lizenzen verkauft.

Dennoch wächst die Messe und kann in diesem Jahr 2150 Aussteller aus 36 Ländern präsentieren. Vor allem kleinere Verlage kommen, die mitunter nicht einmal im Handel gelistet sind und hier ihr Publikum suchen müssen. Unerreicht aber ist das größte europäische Lesefest in der Stadt. An nur vier Tagen werden bis Sonntag 1500 Autoren in 2000 Veranstaltungen lesen. Und es gibt wenige der 300 Leseorte, die nicht ausverkauft sind. Mag das Zeitalter des Büchermachens in Leipzig vorbei sein – nun schlägt die Stunde der Leser. Nach Erich Loest und seinem Tagebuch aber wird man auf der Messe vergeblich suchen; sein aktueller Verlag, Steidl aus Göttingen, ist dieses Jahr in der "Löwenstadt Leipzig" nicht vertreten.

(RP)
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