"X-Men - erste Entscheidung" im Kino Superheld der Entschleunigung

Düsseldorf (RP). Der neue "X-Men"-Film folgt nicht der klassischen Regel für Fortsetzungen in Hollywood: Statt größer, schneller, lauter zu sein, nimmt sich Teil fünf Zeit. Er geht zurück in die Kinderjahre seiner Hauptfiguren. Die Handlung, die hochwertig beginnt, verliert indes allmählich an Spannung.

Szenen aus "X-Men: First Class"
12 Bilder

Szenen aus "X-Men: First Class"

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An jedem ganz normalen Arbeitstag für Weltretter könnte die Leinwand eines "X-Men"-Films von knallbunten Superhelden durchzischt werden wie der Silvesternachthimmel von Raketen.

Denn seit der Autor Stan Lee und der Zeichner Jack Kirby die Mutantentruppe 1963 für den Comicverlag Marvel entworfen haben, hat sich ein buntes Sammelsurium bizarrer Gestalten angesammelt, Mitglieder der Superhelden-Organisation, Freunde und Verbündete, Abtrünnige und Gegner. Jeder neue Film der "X-Men"-Serie könnte also Hollywoods liebster Fortsetzungsregel "Größer, lauter, schneller — und mehr von allem" problemlos folgen. So war es bisher.

Doch "X-Men: Erste Entscheidung", der fünfte Teil des Franchise, tut nun das Gegenteil. Er übt sich in Entschleunigung. Er führt die Vorgängerfilme nicht fort in eine Welt, in der — wie in den Comics — Superhelden allgegenwärtig sind und sich Massenschlachten mit Superschurken liefern.

Er geht zurück zum Anfang, bis in die Kindheit und Jugend des X-Men-Gründers Charles Xavier und des Mutanten Erik Lehnsherr, der sich später Magneto nennen wird, in eine Zeit, als diese Mutanten mit sich allein sind, ihre Talente verschämt oder verängstigt verstecken, keine Vorbilder haben für die Entwicklung ihrer Andersartigkeit. Was die Superfähigkeiten angeht, ist dies eher ein Film des Suchens und Erkundens, keiner des inflationären Dauergebrauchs.

Als Regisseur für "X-Men: First Class", so der Originaltitel, wurde der Brite Matthew Vaughn verpflichtet, der in "Kick-Ass" einen ziemlich ironischen Blick auf die ganze Mythologie der Superhelden werfen durfte und trotzdem lustvoll mit der Freiheit und Überdrehtheit der Comicträume operierte.

Das kann die Vorfreude wecken, dies sei der beste "X-Men"-Teil seit Bryan Singers Auftaktfilmen — oder vielleicht der beste überhaupt. Diese Vorfreude sollte man dämpfen. Der Film beginnt in den 40er Jahren in Europa, im Herrschaftsgebiet der Nazis, und nicht zum ersten Mal in der Serie werden die Wurzeln der X-Men bis in die Todeslager der Nazis zurückverfolgt.

Man kann das als sehr ernste Grundierung der X-Men-Themen Reinheitswahn, Ausrottungsfantasie und Herrenmenschendenken deuten. In der Welt der Comics und Filme möchten manche Politiker die Mutanten ausrotten, und manche Mutanten sehen sich als die nächste Entwicklungsstufe der Menschheit und von der Pflicht befreit, auf die schwächeren Vorgänger Rücksicht zu nehmen.

Man kann allerdings auch empfinden, dass hier ziemlich unverschämt Bedeutung und Tragik in die Figuren hineingezwungen werden soll. Der Großteil des Films spielt aber sowieso 1962 während der Kubakrise. Kevin Bacon spielt den Herrenmenschen, der eine kleine Truppe Mutanten um sich versammelt hat, mit deren Hilfe er die Welt ins Chaos stürzen will.

James McAvoy spielt den jungen Xavier, der seine Truppe erstmals ins Feld führt, Erik Fassbender spielt Magneto, der noch nicht der Erzfeind Xaviers ist, sondern dessen Verbündeter, und Jennifer Lawrence ("Winter's Bone") gibt Mystique. Sie alle nehmen ihre Figuren nicht zu leicht, präsentieren sie aber auch nicht zu gravitätisch. Nur kommt es "X-Men: Erste Entscheidung" auf die Charaktere gar nicht so sehr an.

Das Setting in den 60ern bestimmt den Film stark, er wird eine Retro-Deko-X-Show. Bewusst wird auf das Design der James-Bond-Filme verwiesen, aber auch andere Abenteuerwelten jener Zeiten, in denen eine neue Hipness auf alte Autoritäten traf, wie die TV-Serie "The Avengers — Mit Schirm, Charme und Melone", dürften hier Pate gestanden haben.

Das Problem ist, dass die Drehbuchautoren ein paar Grundtugenden vernachlässigen. Sie wollen nicht in hibbelige, ungeduldige Krawallszenenhäufung verfallen, sondern gemessen erzählen. Aber über all den Themen, Schauwerten und Charakteren, bei all den guten Vorsätzen vergessen sie die zügige Stoffentwicklung, die elegante Themenpräsentation, die Dialogzuspitzung.

"X-Men: Erste Entscheidung" ist trotz seiner Qualitäten ein umständlicher und behäbiger Film, der Szenen eher beliebig aneinanderreiht und dessen Dialoge man meist als platt und witzlos bezeichnen muss. Gerade weil der Retroschick manchmal an "Mad Men" erinnert, fällt auch auf, wie viel armseliger die Drehbucharbeit hier ist. Bis zum nächsten Film müssen die "X-Men" wieder das intelligente Sprechen lernen.

Bewertung: 3 von 5 Sternen

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