Alexander Kluge "Heinrich Heine wäre heute ein Blogger"

Der Filmemacher, TV-Produzent und Schriftsteller bekommt an diesem Wochenende den mit 50 000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf.

 Alexander Kluge

Alexander Kluge

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Er ist Filmemacher, TV-Produzent, Schriftsteller - und am Samstag wird ihm in Düsseldorf der mit 50 000 Euro dotierte Heine-Preis verliehen: Der 82-jährige Alexander Kluge ist eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kulturbetrieb.

Vor zwei Jahren haben Sie die Laudatio in Düsseldorf auf Ihren Freund und Heine-Preisträger Jürgen Habermas gehalten. Warum hält jetzt nicht Habermas die Laudatio auf Sie?

Kluge Er könnte das tun. Jürgen Habermas ist lebenslänglich für mich ein Gefährte; bis hin zur Richtung des Denkens. Aber bei Heine gibt es nicht nur die Gedanken. Darum ist es besser, dass jetzt der Künstler Anselm Kiefer die Laudatio hält, der für mich ein Gefährte des Bildhaften und Poetischen ist.

Sie haben in Ihrer Laudatio auf Habermas Gemeinsamkeiten des Preisträgers mit Heine erwähnt - unter anderem in der Praxis des vehementen Zwischenrufs. Ist das auch Ihre Brücke zu Heine?

Kluge Einerseits ja. Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass Heine ein ganz moderner Dichter ist und dass man zu Versen von ihm heute neue Geschichten schreiben kann. Ich glaube, dass wir unsere Erfahrungen im 21. Jahrhundert auf die Erfahrung von Heine und dessen Poetik eichen sollten. Wir können viel von ihm lernen.

Was heißt das konkret?

Kluge Unsere Zeit ist unheimlich. Auch Heines Zeit war unheimlich. Drei Jahre vor seinem Tod beobachtet er von seiner Matratzengruft in Paris, er ist gelähmt, den Krimkrieg. Und dass damals eine große westliche Allianz gegen Russland kämpft. Plötzlich werden wir daran erinnert, was heute geschieht. Und dann scheint es so, als hätten wir nichts dazu gelernt. Heine ist nicht nur ein luzider und wacher Beobachter gewesen, sondern er hat seine Zeit erzählerisch und poetisch so behandelt, wie auch wir mit unserer Zeit umgehen sollten.

Dazu gehören aber auch Informationen . ..

Kluge . . . Information ist nicht alles. Bloße Information lässt das Herz des Menschen unbeeindruckt. In der Erzählung wird die subjektive Seite der Menschen in die Information hineingebracht. Unsere Nachrichtensendungen sind ohne Musik. Bei Homer aber gab es den Sänger, der die Nachrichten von Troja singend überbringt. Die Neugier wird durch Erzählen und Gesang aus ihrem Schneckenhaus gelockt. Wie auch bei Heine - "Meinung mit Musik".

Ist die Poesie auch eine Verführung des Zuhörers zur Zeitgeschichte?

Kluge Sagen wir es einmal so: In Heines Gedicht "Die Loreley" ist von Phantasie und Verführung die Rede. Vor 800 000 Jahren haben die Menschen das Feuer erfunden, es hat lange genug gedauert. Das Feuer hat die Nacht erhellt, und an diesem Feuer wurde nicht nur Fleisch gebraten. Es wurde auch erzählt. Dort ist der erste Funke der Poetik geflogen, die unsere menschliche Phantasie bis heute auszeichnet. Man saß auf Tuchfühlung, politisierte miteinander - dieser Wärmestrom ist der Anfang der Zivilisation. Er gehört auch zu Heine. Der ist nicht nur der kühle Beobachter. Er ist ein Kritiker der Romantik, aber er macht auch vom romantischen Gefühl Gebrauch.

Ist die Wärme des Erzählens lebenswichtig? Anders gesagt: Erzählen wir um unser Leben, wie es schon Scheherazade in den Geschichten aus 1001 Nacht getan hat?

Kluge Ich glaube, das ist die Urform des Poetischen. Darum ist es so unheimlich, dass ausgerechnet dort, in Mesopotamien, wo in Uruk und in Babylon die erste große Zivilisation entstand, jetzt die Islamisten marschieren.

Das legt aber auch den Verdacht nahe, dass wir Menschen aus der Geschichte nichts gelernt haben. Sind die Ziele der Aufklärung unerreicht geblieben?

Kluge Wir haben heute an Erfahrung hinzugewonnen und sind ganz anders geimpft. Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren ist ja eine Art Impfung. Die Menschen sind insgesamt vorsichtiger geworden, wir sind nicht dieselben wie 1914 oder wie in der Zeit der Schlacht von Waterloo. Ob dieser Fortschritt aber genügt, weiß ich nicht. Weil die Masse des Unheils auch gewaltig zugenommen hat. Wenn man sagt, es leben sieben Milliarden Menschen auf der Erde, dann könnte man sagen, das sind sieben Milliarden neue Chancen - und es können eben auch sieben Milliarden Probleme sein.

Informationen sind nicht alles, sagen Sie. Können denn zu viele Informationen sogar den Blick auf die eigentliche Welt versperren?

Kluge Heine lehrt uns: Wo viel Silizium ist (wie in den Chips), gibt es Oasen. In den Wüsten der Informationsgesellschaft müssen wir die Oasen finden. Und die Poesie Heines ist eine dieser Oasen.

Wäre Heine heute ein Blogger?

Kluge Mit Sicherheit. Heine hätte die "Fackel" von Karl Kraus fortgesetzt; und heute würde er eine Vereinigung von Bloggern gründen und eine Netzschaltung organisieren.

(RP)
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