Premiere in Düsseldorf Absurdes Theater um die Migration

Thomas Freyers verstörendes Stück „letztes Licht. Territorium“ wurde im Schauspielhaus uraufgeführt.

 Madeline Gabel, Cathleen Baumann, Thomas Kitsche, Anna-Sophie Friedmann (v. l.) in „letztes Licht. Territorium“.

Madeline Gabel, Cathleen Baumann, Thomas Kitsche, Anna-Sophie Friedmann (v. l.) in „letztes Licht. Territorium“.

Foto: Sandra Then

Der Bühnenboden hebt sich und gibt den Blick frei auf vier abgewetzte Gestalten. Was sie dort in karger Umgebung treiben, woher sie kommen und was sie miteinander verbindet, schält sich in Thomas Freyers im Kleinen Haus des Schauspielhauses uraufgeführten Stück „letztes Licht. Territorium“ erst nach und nach heraus. Da sind die Chefin des Dorfes, Zauda, ihre erwachsene Tochter Byosch, Ander und der demente Magel. Sie alle bewohnen das „Territorium“, einen unwirtlichen Flecken am Meer, der zum Lande von einem Gebirge und einer Mauer abgeschlossen ist. So hat der Kontinent sich gegen Flüchtlinge abgeschottet.

Die wenigen Bewohner weichen zu unterschiedlichen Seiten von der Norm ab. Thomas Kitsche spielt unter der Regie von Jan Gehler die Rolle des Magel, der mit Windel über die Bühne kriecht und wie ein heiliger Narr wirkt. Cathleen Baumann zeichnet ihre Zauda als resolute Frau, die zuweilen unter Gedächtnisverlust leidet, Madeline Gabel verleiht ihrer Byosch die Gabe, sich an Geschehnisse zu erinnern, die vor ihrer Geburt lagen. Nur Alexej Lochmann als Ander ist in dieser Umgebung zunächst ohne Befund.

Bald tritt Anna-Sophie Friedmann als Suu auf den Plan. Auf der oberen Ebene der Bühne behauptet sie, dass sie das Territorium für Investoren erkunden wolle, und weckt damit sogleich den Argwohn der Ortsansässigen.

Ein Geheimnis umschließt diese Gegend, und ein Großteil der Spannung ergibt sich daraus, wie es gelüftet wird. So viel steht bald fest: Das Territorium war ein Lager, in dem Menschen lebten, die auf dem Weg zum Kontinent gestrandet waren.

Doch wohin sind diese Menschen entschwunden, und was hat es mit den wenigen auf sich, die dort heute leben? Byosch, die allwissende Tochter, kennt die Wahrheit: Ihre Mutter hat die Angelandeten erschlagen, weil sie die Einheimischen durch ihre Ankunft in Massen zu verdrängen drohten. Immer mehr Kinder kamen an, so erzählt die Mutter bereitwillig, Soldaten richteten einen Zaun auf, und ein paar Einheimische gaben sich als Wächter her.

Vieles spielt in dieses Szenario hinein: die Klimakrise mit ihrer Regenarmut, dem Verlust der Kiefernwälder und des Fischreichtums, und ein unterirdischer Gang soll die Flucht aus der Ödnis ermöglichen. Die vier Bewohner deklamieren ihre Texte zuweilen im Stil eines antiken Chors, gegen Ende des Stücks fängt Suu an zu singen, und der anfangs unauffällige Ander führt Magel auf einmal an einer roten Leine spazieren, ähnlich wie Pozzo in „Warten auf Godot“ seinen Knecht Lucky im Zaum hält. In solchen Szenen stößt „letztes Licht.Territorium“ in die existenziellen Gefilde des Absurden Theaters vor. Am Ende ist Magel erschlagen und Suu fort – in einem Stück, das eine finstere Zukunft der Migration von heute entwirft und dabei bis hin zu Buchenwald so viele Themen streift, dass es überfrachtet wirkt.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler allerdings machen daraus das Allerbeste. Ausdauernder Applaus.

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