Stauland NRW Studie: Ameisen sind die besseren Autofahrer

Bis zu 807 Kilometer staut sich täglich der Verkehr auf Autobahnen in NRW. Und die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen soll in den kommenden Jahren um 25 Prozent zunehmen. Für einen Ausbau des Autobahnnetzes fehlt das Geld. Experten arbeiten an Maßnahmen, wie die Staugefahr dennoch reduziert werden kann.

Umfrage: Mein schlimmster Stau
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Bis zu 807 Kilometer staut sich täglich der Verkehr auf Autobahnen in NRW. Und die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen soll in den kommenden Jahren um 25 Prozent zunehmen. Für einen Ausbau des Autobahnnetzes fehlt das Geld. Experten arbeiten an Maßnahmen, wie die Staugefahr dennoch reduziert werden kann.

Ameisen sind die besseren Autofahrer. Wenn die Insekten in langen Ameisenstraßen hintereinander herlaufen, folgen sie einander in der gleichen Geschwindigkeit. Sie überholen nicht und drängen sich dem Vordermann nicht auf. Würden sich alle Autofahrer wie Ameisen verhalten, gäbe es keine Staus. Das jedenfalls ist das Ergebnis des Kölner Stauforschers und Physikprofessors Andreas Schadschneider. Mehrere Wochen untersuchte sein Team in Indien Ameisenkolonien auf ihr Laufverhalten. Aus den Ergebnissen zieht der Physikprofessor Lehren für wissenschaftiche Stauforschung.

Phänomen "Stau aus dem Nichts"

"Wenn eine Ameise langsamer wird, wartet die nächste, bis sie wieder das Tempo der anderen mithalten kann", sagt Schadschneider. Der Forscher geht damit einem Phänomen auf die Spur, das für rund 25 Prozent aller Staus verantwortlich ist: Der Stau aus dem Nichts. Dieser entsteht, wenn ein Autofahrer stärker bremst als das vor ihm bremsende Fahrzeug. Die lange Reaktionszeit des Fahrers zusammen mit dem heftigen Abbremsen führt zu einer Kettenreaktion aller hinter ihm fahrenden Fahrzeuge, die ebenfalls heftiger bremsen, als es für die Vermeidung eines Unfalls nötig wäre. Der Verkehr kommt zum Erliegen.

Die Lösung des Problems wäre laut Schadschneider, wenn alle Fahrzeuge mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs wären. Dann würden die Bremsvorgänge nicht ganz so heftig ausfallen — das Stau-Risiko würde sich verringern. Vor allem Autobahnauffahrten gelten darum als Problempunkte. Autofahrer, die besonders langsam einfädeln, nötigen die Fahrer hinter ihnen zum Bremsen. Dies ist einer der Gründe, warum auf Abschnitten mit besonders vielen Auffahrten die Staugefahr größer ist als auf anderen Strecken.

Doch nicht jeder Stau entsteht aus dem Nichts. Einer ADAC-Untersuchung zufolge ist ein Sechstel aller Staus auf Baustellen zurückzuführen. Ein unvermeidliches Ärgernis: Schließlich werden durch viele Baustellen Autobahnen ausgebaut, um das Stau-Risiko zu verringern. 48 Autobahn-Baustellen sind aktuell für das laufende Jahr geplant. Weitere könnten je nach Bewilligung des Bundes hinzukommen.

Mit Abstand die meiste Wartezeit müssen Fahrer in Nordrhein-Westfalen auf der A1 aufbringen. Die A1, die Heiligenhafen an der Ostsee mit Saarbrücken verbindet, führt die Statistik der Staufallen in NRW mit großem Abstand an. 3445 Staus protokollierten die Verkehrszähler von Anfang 2010 bis Ende November. Im Durchschnitt kommen damit 10,4 Staus pro Tag auf das rund 400 Kilometer lange Teilstück der Autobahn, das durch NRW führt.

Das Problem: Gleich mehrere Stellen der Autobahn sind seit Jahren Dauerbaustelle — und werden es vorerst bleiben. Erst 2013 soll der sechsspurige Ausbau am Autobahnkreuz Münster-Süd abgeschlossen sein. In Höhe Köln-Lövenich dauern die Lärmschutzarbeiten schon Jahre und sollen erst 2012 beendet sein. Der sechsspurige Ausbau zwischen Wermelskirchen und Wuppertal-Langenfeld wird ebenfalls erst 2012 fertig.

Die A1 ist kein Einzelfall. Den Autobahnen in NRW droht der Verkehrs-Infarkt. Viele Strecken sind überlastet, für notwendige Ausbauarbeiten fehlt das Geld. Aus der Landesregierung verlautet, man sei enttäuscht über die mangelhafte Unterstützung durch den Bund. Schließlich ist die Finanzierung von Autobahnen Bundesangelegenheit.

Verkehrsminister Harry Voigtsberger (SPD) will jetzt in einer Studie herausfinden, auf welchen Autobahnen der Erneuerungs- oder Ausbaubedarf am größten ist. Das Ergebnis wird für den Frühsommer erwartet. Fest steht: "Das Land erhält in diesem Jahr deutlich weniger Zuschüsse durch den Bund als im vergangenen Jahr", sagt Ministeriumssprecherin Mirijam Grothjan.

40 neue Info-Anlagen geplant

Weil der Ausbau von Autobahnen sehr kostspielig ist, versucht die Politik nun, mit Hilfe moderner Technik gegen die Stau-Flut anzukämpfen. Elektronische Infotafeln unter dem Namen Devista zeigen bereits jetzt auf zahlreichen Autobahnen bei Stau und zähfließendem Verkehr Umleitungs-Empfehlungen an. 40 weitere sollen vor allem im Ruhrgebiet hinzukommen. Die Bewilligung der Kosten in Höhe von insgesamt zwölf Millionen Euro durch den Bund steht allerdings noch aus. "Diese Anlagen bieten eine effektive Möglichkeit, Staus zu verhindern"; sagt Hanno Bäumer, Leiter der Abteilung Telematik beim Landesbetrieb Straßen.NRW.

Eine andere Möglichkeit, das Stau-Risiko zu minimieren, bieten sogenannte "Straßenbeeinflussungsanlagen". Mit diesen elektronischen Anzeigetafeln kann das Tempolimit auf Autobahnen an das jeweilige Verkehrsaufkommen angepasst werden. Der Grund: "Zahlreiche Staus entstehen aufgrund großer Geschwindigkeitsdifferenzen", so Schadschneider. Muss ein Fahrer von 180 Stundenkilometern auf 80 km/h abbremsen, weil auf seiner Spur ein Lkw unterwegs ist, kann dies eine Kettenreaktion aller hinter ihm fahrenden Autos zur Folge haben. Fahren alle Autofahrer im gleichen Tempo, sinkt das Staurisiko — wie die Analyse der Ameisenstraßen den Forschern gezeigt hat.

Auf rund 500 Kilometern sind in NRW elektronische Geschwindigkeitsanzeigen installiert. Das ist wenig, betrachtet man das Autobahnnetz in NRW mit rund 4000 Kilometern. In diesem Jahr soll zumindest eine weitere Anlage hinzukommen: Auf der Dauer-Staustrecke A565 zwischen Bonn und Meckenheim werden die Fahrer künftig elektronische Tempolimits angezeigt bekommen. Der Bau der Anlagen ist bereits beschlossen, die Finanzmittel vom Bund bewilligt.

Ebenfalls helfen soll die temporäre Freigabe von Standstreifen für den Verkehr. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CDU) hat angekündigt, rund 300 Millionen Euro zu investieren, um Stauschwerpunkte im gesamten Bundesgebiet zu entzerren. In NRW ist auf der A 4 bereits die zeitweise Benutzung des Standstreifens bei hohem Verkehrsaufkommen erlaubt, weitere Abschnitte auf anderen Autobahnen sollen folgen.

Voraussetzung für ein funktionierendes System elektronischer Tempoanzeigen ist allerdings eine Verkehrsleitzentrale, in der die Daten gesammelt und ausgewertet werden. Bisher werden die Stauinformationen, die von Verkehrsschleifen im Boden registriert werden, jeweils an Polizei und die Landesbehörden weitergeleitet. Doch besondere Erkenntnisse der Polizei beispielsweise über Unfälle und dadurch verursachte Staus werden beim Landesbetrieb nicht registriert. Das soll sich ändern: 2013 wird die neue Verkehrsleitzentrale an den Start gehen. "Es soll ein System aus einem Guss werden", sagt Straßen.NRW-Sprecher Bernhard Meier.

Kritik an Stau-Warnungen

Die Zusammenführung aller ermittelten Daten erweist sich momentan noch als schwierig. In Düsseldorf wird mit dem als "Dmotion" bezeichneten Projekt ein System erprobt, in dem innerstädtische Straßen und Autobahnen koordiniert werden. Auch Ampelschaltungen (Grüne Welle) sind in das System integriert. Ein ähnliches Projekt im Ruhrgebiet unter dem Namen "Ruhrpilot" hatte von Beginn an mit Problemen zu kämpfen. Mehrfach wurde das System als unzuverlässig kritisiert. "Viele Verkehrsinformationen sind in NRW zur Zeit nicht aktuell. Vor allem werden Auflösungen von Staus nicht rechtzeitig erfasst", sagt Schadschneider. Was hilft es, wenn dem vorausschauenden Fahrer ein Stau gemeldet wird, der tatsächlich schon längst nicht mehr existiert?

Die wichtigste Frage für den Autofahrer ist schließlich: Nehme ich die vom Navigationssystem vorgeschlagene Umleitung oder fahre ich sehenden Auges in den vorhergesagten Stau? Stauforscher Schadschneider rät in jedem Fall dazu, den direkten Weg zu wählen und in den Stau zu fahren. Zwar vergehe die Zeit im Stau subjektiv langsamer. Aber meistens sei dies trotz Verkehrsstillstand die schnellere Alternative.

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