Digitales Leben nach dem Tod Lasst sie gehen!

Düsseldorf · Alle drei Minuten stirbt in Deutschland ein Facebook-Nutzer. Doch ohne digitales Testament machen es die großen Internetkonzerne Hinterbliebenen fast unmöglich, die Daten Verstorbener in deren Sinne zu verwalten.

Tote Facebook-Nutzer: Lasst sie gehen!
Foto: Martin Ferl

Lars würde seinem kleinen Bruder gerne die letzte Ruhe verschaffen. Vier Monate ist es her, dass Ronny plötzlich starb, seitdem hat sich Lars durch viel Bürokratie kämpfen müssen. Bis zur Verzweiflung. Es ist schwer, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen. Irre schwer wird es dann, wenn der Verstorbene nicht aufhört, Zeichen von sich zu geben. Ronny kann in der digitalen Welt nicht sterben.

Auf seinem Facebook-Profil ist noch immer der letzte profane Eintrag zu sehen: "...Menschen, die anscheinend noch nie in ihrem Leben durch Schnee gefahren sind…”. Ein Like, drei Kommentare, einen davon hat Ronny wiederum geliked. Alles wirkt, als würde Lars' Bruder gleich wiederkommen und den nächsten Eintrag schreiben, das nächste Foto hochladen oder Video teilen. Das nächste Lebenszeichen von sich geben.

Das Problem: Niemand kann Ronnys Facebook-Seite löschen. Oder bearbeiten. Oder kommentieren. Dasselbe gilt für seinen Google-Account und seine Daten bei Apple. Es ist, als würde er in der digitalen Welt weiterleben, auch wenn er das auf diese Weise nicht gewollt hätte.

Der digitale Friedhof wächst

Ronny ist kein Einzelfall. So macht auf den Twitter-Profilen von Dirk Bach oder FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher nichts den Anschein, dass beide bereits gestorben sind. Schirrmachers letzter Eintrag stammt vom 11. Juni, ein Verweis zu einem Artikel über Al-Kaida und den IS, danach reißen seine Nachrichten einfach ab. Am 12. Juni starb der Journalist.

Wer nach langer Krankheit stirbt, denkt vielleicht vorher daran, seinen digitalen Nachlass aufzuräumen. Wer aber plötzlich aus diesem Leben gerissen worden ist, wird dank der Facebook-Algorithmen anderen Nutzern weiter als neuer Freund vorgeschlagen. So zum Beispiel Hannah: Sie starb im Dezember im Alter von 25 Jahren. Plötzlich und unvermittelt für alle, die sie kannten. Heute noch, ein halbes Jahr später, schlägt sie auf Facebook ihren Freunden zu Lebzeiten quasi aus dem Jenseits Musik, Filme oder Burgerbrater ans Herz. Die einen empfinden das als schöne Erinnerung, andere als höchst makaber.

Es gibt durchaus Möglichkeiten für Hinterbliebene, Kontrolle über die Daten von Verstorbenen zu erlangen. Facebook verlangt eine Sterbeurkunde als Beweis dafür, dass ein Nutzer tatsächlich tot ist. Wenn gewünscht, werde der Account dann in einen speziellen Gedenkzustand versetzt, heißt es vom Unternehmen. So ermögliche man Freunden und Familie, weiterhin Kommentare, Wünsche und Nachrichten zu posten, um gemeinsam zu trauern und sich auszutauschen. Natürlich könne der Account auch gelöscht werden, wenn es die Familie so wünsche.

So einfach ist es bei Lars aber nicht. Facebook habe vorausgesetzt, dass er Zugang zu dem E-Mail-Account habe, mit dem sich sein kleiner Bruder auf den Plattformen angemeldet hatte, sagt er. Aber wer kennt schon das E-Mail-Passwort seiner Verwandten? In diesem Fall ein E-Mail-Account des Anbieters Google.

Google verlangt Sterbeurkunden — auf Englisch

Der Internet-Gigant hat rigide Datenschutzbestimmungen. Im Sterbefall führt das zu teils abenteuerlichen Folgen. So muss Lars bei Google eine Sterbeurkunde in englischer Sprache einreichen — und anschließend beweisen, dass die E-Mail-Adresse tatsächlich dem Verstorbenen gehörte und nicht etwa zufällig auf dessen Namen lief. Wie er das anstellt, ist ihm selbst überlassen.

Und selbst wenn es gelingt, ist noch nicht viel gewonnen: Alles, was Lars von Google erhält, ist ein Screenshot des E-Mail-Accounts. Auf die Nachrichten selbst und Dokumente in der Cloud kann er dann immer noch nicht zugreifen.

Und auch Apple macht es den Hinterbliebenen nicht leicht. Zugriff erhält nur, wer die drei Sicherheitsfragen beantworten kann, die der Verstorbene zu Lebzeiten festgelegt hat. Wer daran scheitert - und sei es aufgrund unterschiedlicher Schreibweisen von Grundschule, Haustier oder Spitzname -, kann die Hoffnung aufgeben, jemals Zugriff auf den Account des Verstorbenen zu erhalten.

Bundesregierung warnt

Ronny ging es wie den meisten Internetnutzern: Er hat keinen digitalen Nachlassverwalter bestimmt. Also jemanden, der sich um unsere Daten kümmert, wenn wir es nicht mehr können. Laut Bundesverband der Verbraucherschützer stirbt statistisch alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer in Deutschland, ohne entschieden zu haben, was mit den eigenen Daten geschehen soll. 175.200 Menschen im Jahr. Der digitale Friedhof wächst — und mit ihm die Probleme.

So warnt die Bundesregierung, dass es bisher keine einheitlichen Regeln zur Kontrolle der Daten von Verstorbenen gibt. Die Lage ist auch unübersichtlich, weil viele der Anbieter ihren Sitz im Ausland haben. Für die Angehörigen beginnt oft eine mühsame Spurensuche: Gibt es Online-Konten — und wenn ja, welche? Ebay-Käufer warten auf Antwort, Paypal-Nutzer auf Zahlungen für bestellte Waren. Gebühren für Online-Verträge und Abos werden vom Konto des Verstorbenen abgebucht oder gehen auf die Erben über.

Auch in Deutschland gibt es bereits Unternehmen, die sich dafür bezahlen lassen, das digitale Erbe eines Verstorbenen zu sichten und Verträge zu kündigen — ohne Passwort, versprechen sie. Bis zu mehrere Hundert Euro kann so ein Auftrag aber kosten. Neben dem finanziellen Aufwand sollten die Angehörigen ebenfalls bedenken, dass den beauftragten Firmen teils sehr privates Material in die Hände fällt.

Unternehmen reagieren

Für den sichersten Weg halten es Verbraucherschützer daher, dass Nutzer selbst veranlassen, was mit ihren Daten im Falle eines plötzlichen Todes geschieht. Zugangsdaten zu E-Mail-Konten und anderen Internet-Diensten lassen sich in einem Testament genauso festhalten wie die Frage, wer über die Daten verfügen soll. Mit einer Vorsorgevollmacht kann man zudem bestimmen, welche kostenpflichtigen Abos und Zugänge nach dem Tod gekündigt werden sollen.

Aber auch die ersten Unternehmen reagieren. Google bietet seinen Nutzern die Möglichkeit festzulegen, wer nach ihrem Tod über die Inaktivität des Kontos benachrichtigt wird und Zugriff auf ihr Profil haben soll. Auch bei Facebook lässt sich mittlerweile ein Nachlasskontakt bestimmen, der über das Profil verfügen darf.

Lars hilft das nicht mehr. Er muss sich mit einer makabren Wahrheit abfinden: Dass sich Unternehmen, die wegen Datenschutz-Versäumnissen permanent in der Kritik stehen, ihm die letzte Ruhe seines kleinen Bruders verweigern — unter Berufung auf den Datenschutz.

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