Interview mit Matthias Kammer "Deutschland muss die IT-Infrastruktur sicherer machen“

Düsseldorf · Der Direktor des Instituts für Sicherheit und Vertrauen im Internet (DIVSI), Matthias Kammer, spricht im Interview über die Folgen der Geheimdienst-Affäre, die Bedeutung der Digitalisierung und neue Regeln für ein "Recht auf Vergessenwerden" im Netz.

Herr Kammer, der Bundesnachrichtendienst soll seinem US-Pendant, der NSA, geholfen haben, europäische Politiker und Unternehmen auszuspionieren. Wird die Affäre Konsequenzen haben?

Kammer Das glaube ich schon. Die Diskussion um den BND wird nicht ohne Folgen bleiben. Meine Sorge ist aber jenseits dieses Falles, dass Menschen das Vertrauen in die Institutionen verlieren. Die vielen Skandale der vergangenen Jahre zeigen, dass Deutschland dringend etwas tun muss, um die IT-Infrastruktur sicherer zu machen. Allerdings glaube ich nach den Studien, die wir als DIVSI durchgeführt haben, nicht, dass sich das Nutzerverhalten der meisten Menschen im Internet groß ändern wird. Die Leute wollen die vielen Vorteile der Nutzung einfach nicht missen.

Überblicken die Nutzer überhaupt, was dort mit ihren Daten passiert, mit welcher Geschwindigkeit sich die digitale Welt verändert?

Kammer Es gibt sicherlich Menschen, die sich überfordert fühlen. Andere sind begeistert wegen der vielen Nutzungsmöglichkeiten. Historisch gesehen ist die Digitalisierung aus meiner Sicht ein größerer Einschnitt als der Buchdruck oder die Industrialisierung. Ständig gibt es neue Entwicklungen, neue Ideen. Wir befinden uns ja eigentlich immer noch in der Anfangsphase.

Was bedeutet das für die Nutzer?

Kammer Jeder von uns sollte sich gut überlegen, was er im Internet veröffentlicht, welche Spuren man hinterlässt. Das Netz vergisst nicht. Eltern sollten daher auch achtsam sein, was ihre Kinder im Internet treiben, ihnen zur Vorsicht raten. Wichtig ist, dass sie mit ihnen über mögliche Gefahren sprechen — zum Beispiel wenn die Kinder Videos von sich drehen und sie ins Netz stellen.

In der Regel hat ein Einzelner der Macht der Konzerne jedoch wenig entgegenzusetzen. Muss sich der Staat noch stärker kümmern?

Kammer Vieles von dem, was wir in der digitalen Welt brauchen, kann national gar nicht mehr gelöst werden, sondern nur noch auf europäischer Ebene. Trotzdem dürfen die EU-Mitgliedsstaaten natürlich nicht die Hände in den Schoß legen. Wir müssen uns überlegen, wie die digitale Souveränität in Europa aussehen muss — auch im Gegensatz zu den USA.

Was heißt das konkret?

Kammer Wir müssen wieder für mehr Vertrauen sorgen. Dazu gehört, dass wir noch stärker über die Chancen und Risiken von Big Data, also der Analyse riesiger Datenmengen, sprechen. Je mehr sich Geräte wie die Apple Watch durchsetzen, umso mehr Daten und beispielsweise Gesundheitsdaten können auch erfasst werden. Wie können wir sicherstellen, dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind? Wollen wir es aber gleichzeitig Leuten erlauben, die das wünschen? Gleichzeitig müssen wir das "Recht auf Vergessenwerden" im Internet noch stärker durchsetzen. Da arbeiten wir vom DIVSI gerade an konkreten Vorschlägen. Außerdem wollen wir für mehr Transparenz sorgen, zum Beispiel bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Wir müssen sie so aufbereiten, dass die Menschen auch wissen, was sie da unterschreiben bzw. anklicken, und es nicht als lästigen Punkt schnell wegklicken. Das wäre ein erster Schritt.

Das Gespräch führte Florian Rinke

(frin)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort