Interview mit Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller „Es wäre gut, wenn Merz ein Amt bekäme“

Nicola Leibinger-Kammüller führt eines der größten deutschen Familienunternehmen. Beim Interview im Stammwerk Ditzingen spricht sie über notwendige Reformen, Schwarz-Grün im Bund – und über Fitnessstudios.

 Nicola Leibinger-Kammüller (59) führt seit 2005 den Trumpf-Konzern.

Nicola Leibinger-Kammüller (59) führt seit 2005 den Trumpf-Konzern.

Foto: Sebastian Berger

In Ditzingen, vor den Toren Stuttgarts, hat eines der größten deutschen Familienunternehmen sein Stammwerk: Trumpf ist Maschinenbauer und Erfinder des Laserschneiders. Geführt wird der Konzern von Nicola Leibinger-Kammüller. Wir treffen die Schwäbin in einem lichtdurchfluteten Besprechungsraum, an den Wänden hängt junge Kunst (Rainer Fetting: „Zitronen“). Der Blick fällt auf große Werkshallen.

Brexit, Protektionismus, Weltwirtschaft – die Konjunkturprognosen sinken. Sind die fetten Jahre vorbei?

Leibinger-Kammüller Klingt wie der Titel eines Films mit Daniel Brühl. Ich würde eher sagen: Die Unsicherheit bei den Unternehmen wächst, der lange Boom neigt sich nach neun Jahren dem Ende zu. Hinzu kommen die vielen Fragezeichen beim Brexit und zum Zustand der EU insgesamt. Trumpf hat in Großbritannien zwei Firmen. Wir haben dort bereits die Lager aufgestockt, um gewappnet zu sein. Vor allem aber spüren wir überall die Folgen einer Konjunkturabschwächung in China. Da halten sich viele Kunden mit Investitionen erst einmal zurück.

Was kann die Politik tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern?

Leibinger-Kammüller Die Berliner Politik kann nichts für die Dynamik der globalen Märkte. Aber sie sollte die Themen Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung beherzter anpacken. Ein viel zitiertes Beispiel: Es kann nicht sein, dass mehrere Minister, Frau Bär oder der Chef des Kanzleramts das Thema Digitalisierung „ein bisschen“ machen. Wir brauchen einen Digitalminister, einen Experten mit Leidenschaft und Befugnissen. Vielleicht einen Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft.

Wie sehen Sie die große Koalition insgesamt?

Leibinger-Kammüller Kritisch, bei aller Empathie. Sie hat lange gebraucht, bis sie gestartet ist, und dann die falschen Projekte auf den Weg gebracht. In der Rentenpolitik macht sie unseriöse Versprechen, die Mütterrente kostet uns auf lange Zeit Milliarden. Aber wer spricht schon von solchen Dingen, der Verwendung von Steuern. Es geht uns doch blendend!

Wo sehen Sie dafür den Hauptschuldigen, in der SPD oder der CDU?

Leibinger-Kammüller Die SPD ist in einer Krise, und angeschlagene Partner sind stets schwache Partner. Zugleich hat die CDU ihren ordnungspolitischen Kompass verloren.

Wir dachten, Sie gehören zum Merkel-Fanclub …

Leibinger-Kammüller Ich schätze die Bundeskanzlerin sehr. Sie hat in der Finanz- und Eurokrise klug gehandelt und das Land aus einer schwierigen Lage geführt. Wenn sie nicht mehr Kanzlerin ist, werden wir sie gerade in Europa sehr vermissen. Aber ich bleibe eine Verfechterin der Ordnungspolitik und dessen, was man früher einmal wertschätzend soziale Marktwirtschaft nannte.

Hat Merkel in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht?

Leibinger-Kammüller Auch ich hätte die Grenzen zu Ungarn 2015 geöffnet. Hilfe in Not zu geben, zeichnet uns Christen aus. Doch in der Folge wurden handwerkliche und kommunikative Fehler gemacht. Die Menschen haben verständlicherweise ein hohes Sicherheitsbedürfnis. An dieser Stelle wurden sie viel zu wenig abgeholt.

Hätte Friedrich Merz der Partei als Vorsitzender den ordnungspolitischen Kompass zurückbringen können?

Leibinger-Kammüller Anders als seine Kritiker meinen, ist es für mich kein Manko, dass Friedrich Merz zehn Jahre in der Wirtschaft tätig war und damit raus aus der Politik. Er kennt die Realität der Unternehmen, solche Politiker brauchen wir! Aber wir leben in einer Demokratie, und die CDU hat sich mehrheitlich für Annegret Kramp-Karrenbauer entschieden. Auch sie wird ihre Sache gut machen.

Merz hat auf die Frage, ob er Millionär sei, geantwortet: „gehobener Mittelstand“. Sind Sie Millionärin?

Leibinger-Kammüller Ja, bin ich. Als Mitbesitzerin eines Unternehmens bin ich Millionärin, aber das sagt nichts über die Verfügbarkeit und Verwendung der Mittel aus. Eigentum ist keine Schande, sondern eine Verpflichtung. So interpretiere ich zumindest Artikel 14 unseres Grundgesetzes. Darum werde ja auch ich gefragt, wenn es um Spenden für Kultureinrichtungen oder soziale Projekte geht, und nicht der Pförtner.

Sollte Friedrich Merz Wirtschaftsminister werden?

Leibinger-Kammüller Es wäre gut für das Land, wenn Friedrich Merz mit seiner wirtschaftlichen Erfahrung ein tragendes Amt in der Politik bekäme. Auch im Range eines Ministers, ja. Viele Unternehmen vermissen derzeit wichtige wirtschaftspolitische Impulse.

Was würden Sie anders machen?

Leibinger-Kammüller Ratschläge von außen sind immer bequem. Zunächst würde ich wie erwähnt die Digitalisierung entschlossener und an einer Stelle koordiniert angehen. Wir verschleppen den Ausbau der Breitbandversorgung. Die Netzabdeckung ist gerade hier in BadenWürttemberg vielerorts eine Katastrophe, und die Digitalisierung der Verwaltung lässt auf sich warten. Wir müssen die digitale Transformation der Wirtschaft endlich zu einem Projekt mit klarer Verantwortung machen, so wie es in anderen Ländern auch geschieht. Das Kompetenzwirrwarr in Berlin hilft uns nicht weiter. Das sollte die Kanzlerin korrigieren, die die Dramatik des Themas ja verstanden hat.

Wie steht es mit der Steuerpolitik? Sie haben ja gar keine Abschaffung des Solidaritätszuschlags gefordert, als Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten Baustellen nannten.

Leibinger-Kammüller Ich persönlich kann den Soli bezahlen, und viele andere können das auch. Aber fraglos ist der neue Vorstoß der CDU, Unternehmen bei der Besteuerung entlasten zu wollen, der absolut richtige und überfällige Weg! Generell denke ich: Wenn der Staat das Geld für wichtige Zukunftsaufgaben ausgibt, sind die Bürger eher bereit, höhere Steuern zu zahlen. Entscheidend ist, dass es einen Aufbruch gibt. Wir brauchen die digitale Schule, mehr Wohnungen und bessere Straßen. Das Land muss „en marche“ kommen, wie es Macron in Frankreich zumindest versucht hat. Wir brauchen eine Investitions- und Reformoffensive.

Sie fordern als Unternehmerin ein Staatsprogramm für sozialen Wohnungsbau?

Leibinger-Kammüller Wir brauchen einen Mix aus staatlich gefördertem Wohnungsbau und besseren Rahmenbedingungen für Investoren. Wohnen ist ein Menschenrecht, und in Städten wie München oder Stuttgart können sich viele Menschen ihre Wohnungen im Grunde nicht mehr leisten. In Berlin lässt die Stadt ganze Häuserzeilen vergammeln. Hier muss Politik ansetzen, oder bin ich da zu links?

Was kann die Wirtschaft selbst für den Aufbruch tun?

Leibinger-Kammüller Die Wirtschaft trägt immer Mitverantwortung, auch für eine schleichende Entfremdung von der Gesellschaft. Die Autoindustrie hat ihr mit dem Diesel-Betrug einen massiven Imageschaden zugefügt. Aber die Fehler sind eingeräumt, die Verantwortlichen benannt. Wir müssen jetzt höllisch aufpassen, dass wir im Zuge der Feinstaubdebatte nicht eine ganze Branche kaputtreden, die Hunderttausenden Familien eine Existenz sichert. Genau das sehe ich mit zunehmender Sorge. Die stille Genugtuung bei manchem angesichts der öffentlichen Dekonstruktion der Automobilindustrie ist kreuzgefährlich. Uns fehlt Maß und Mitte.

 Antje Höning und Michael Bröcker führten das Gespräch in Ditzingen.

Antje Höning und Michael Bröcker führten das Gespräch in Ditzingen.

Foto: Sebastian Berger

Sie sitzen im Siemens-Aufsichtsrat. Wie fanden Sie das Treffen von Siemens-Chef Joe Kaeser mit Donald Trump vor einem Jahr?

Leibinger-Kammüller Siemens verantwortet in den USA Zehntausende Arbeitsplätze, natürlich muss Herr Kaeser mit dem US-Präsidenten im Gespräch sein.

Siemens will seine Bahnsparte mit der von Alstom fusionieren, doch die EU-Kartellbehörde will die Fusion nicht freigeben. Brauchen wir ein europäisches Kartellrecht?

Leibinger-Kammüller Sie werden verstehen, dass ich auch dies nicht kommentiere. Aber ich sage so viel: Gegen mächtige Staaten wie die USA und China hat Europa in Zukunft nur dann eine Chance, wenn es einig ist und schlagkräftig sein darf. Dazu kann auch ein europäisches Kartellrecht beitragen, das der Globalisierung Rechnung trägt.

Zurück zur Digitalisierung: Wie digital sind Sie selbst?

Leibinger-Kammüller Als Philologin bin ich etwas altmodisch. Ich liebe Bücher und Zeitungen. Ich habe ein Smartphone, ein Tablet, aber wichtiger als die schnelle Nachricht im Internet finde ich noch immer ausgeruhte Analysen auf Papier.

Ein Smartphone-Verbot an Schulen finden Sie trotzdem falsch?

Leibinger-Kammüller Davon halte ich nichts, Kinder müssen den Umgang mit Technik lernen. Dazu gehören auch die Grenzen der Nutzung, ihre ethischen Schattenseiten. In unseren Führungsbesprechungen müssen die Smartphones vorher auch nicht in eine Kiste gelegt werden. Obwohl das manchmal bei der Konzentration womöglich helfen würde.

Für die Digitalisierung von Trumpf ist Ihr Mann als Chief Digital Officer zuständig?

Leibinger-Kammüller Für Trumpf wie für viele andere Unternehmen ist die digitale Transformation mit allem, was dazu gehört, entscheidend. Bei der Vernetzung der Maschinen versuchen wir, ganz vorne mit dabei zu sein. Hier ist mein Mann der Experte …

Und Sie?

Leibinger-Kammüller (lacht) Ich passe auf, dass er seine Ziele einhält.

Jüngste Umfragen sagen, dass Schwarz-Grün gute Chancen für eine Mehrheit im Bund hat. In Baden-Württemberg regieren Grüne und CDU - könnten Sie damit im Bund leben?

Leibinger-Kammüller In der Verkehrspolitik hatten wir zunächst Schwierigkeiten mit dem grünen Landesminister. Aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist eine beeindruckende Persönlichkeit und füllt sein Amt sehr souverän aus. Ich kann mir Schwarz-Grün sogar im Bund vorstellen, nachdem Jamaika gescheitert ist. Zumal manche grüne Positionen vernünftig sind. Die Grünen müssen sich aber davor hüten, in die Freiheit der Unternehmen einzugreifen. Was wir verteilen wollen, muss erst einmal erwirtschaftet werden. Es gibt mir noch immer zu viel Ideologie in dieser Partei. Schauen Sie sich – wichtiger für Ihr Bundesland als für den Südwesten – jüngst die Äußerungen zur Kohlekommission an.

Wo würde Ihnen mehr Freiheit im Unternehmen helfen?

Leibinger-Kammüller Es geht um das Bild des Unternehmers insgesamt. Trumpf baut hier gerade einen Betriebskindergarten, ökologisch hochwertig, da atmen die Hölzer. So etwas kostet. Darum ist es wichtig, dass Trumpf weiter um durchschnittlich zehn Prozent im Jahr wächst. Wir leben hier nicht in der blauen Lagune, um auf unsere Firmenfarbe anzuspielen. Dafür muss die Politik uns größtmögliche Freiräume lassen, sei es bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten oder bei den steigenden Dokumentationspflichten. Alle reden von Bürokratieabbau. In Wahrheit geschieht das Gegenteil.

Ihr Vater, Berthold Leibinger, führte das Unternehmen im Sinne des schwäbischen Pietismus: fromm, fleißig, sparsam. Gilt das noch immer?

Leibinger-Kammüller Aber ja! Glauben zu dürfen, ist eine Gnade. Der Glaube ist ein guter Leitstern. Sparsam zu sein bedeutet, nichts zu verschwenden – im Kleinen wie im Großen. Ich ärgere mich immer, wenn ich im Parkhaus mehr bezahlen muss, nur weil ich drei Minuten von der nächsten Stunde angebrochen habe. Ich ärgere mich auch, wenn Essen weggeworfen wird. In unserer Kantine gibt es deshalb die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter die Mahlzeit für abends noch einmal mit nach Hause nehmen. So kommt weniger bis nichts um.

Und wie fleißig sind Sie?

Leibinger-Kammüller Ich stehe um 5.30 Uhr auf, ich arbeite gerne und viel. Reicht das?

Und machen bestimmt jeden Tag Sport …

Leibinger-Kammüller Ein bisschen. Ich mache Powerplate zweimal in der Woche, wenn es geht. Dabei mag ich Fitnessstudios eigentlich nicht. Es stimmt mich bisweilen nachdenklich, dass viele Menschen auf der Welt hungern und wir im Westen Zeit damit verbringen, unseren Körper zu stählen.

Das hört sich sehr diszipliniert an. Schlagen Sie auch mal über die Stränge und gönnen sich bei einem Empfang ein paar Rotwein bis zwei Uhr nachts?

Leibinger-Kammüller (lacht) Wenn ich über die Stränge schlage, lese ich bis tief in die Nacht ein Buch. Gerade Arno Geiger, „Unter der Drachenwand“, ein großartiger Autor. Er hat unlängst auch bei uns vorgetragen.

Sie haben über Erich Kästner promoviert. Welches Buch von ihm haben Sie Ihren vier Kindern am liebsten vorgelesen?

Leibinger-Kammüller „Das Fliegende Klassenzimmer“ und „Der 35. Mai“, in beiden steckt viel Warmherzigkeit und Witz.

Würden Sie sich freuen, wenn eins Ihrer Kinder eines Tages die Leitung des Unternehmens übernähme?

Leibinger-Kammüller Das würde meinen Mann und mich freuen, aber vor allem möchten wir, dass sie glücklich werden in den Berufen, die sie ergreifen. Da lassen wir ihnen alle Freiheiten.

Mit 16 Jahren werden die Kinder in Ihrer Familie auf einen Familienkodex eingeschworen. Wie kann man sich das vorstellen?

Leibinger-Kammüller Der Kodex umfasst rund 35 Seiten, in Leder eingebunden. Der wird den Kindern bei unserem jährlichen Familientreffen feierlich überreicht, sie unterschreiben ihn. Darin wird erklärt, wie wir uns als Familie verhalten wollen, wie wir vererben, wie wir Verantwortung übernehmen. Und wie wir uns nach außen darstellen.

Sie gelten als Vorzeigeunternehmerin, die Familie und Beruf vereinbart. Heute sind die Bedingungen für Frauen viel besser, trotzdem gibt es nur wenige in Vorständen. Was raten Sie Frauen?

Leibinger-Kammüller Traut euch was zu und macht eure Ansprüche geltend! Und für alles, was ihr nicht könnt, holt euch Unterstützung – so machen es die Männer schließlich auch. Bei einer generellen Quote bleibe ich weiterhin skeptisch, insofern sie nicht aus den Unternehmen, sondern von außen aus der Politik kommt. Wir brauchen unternehmerische Selbstbestimmung, die individuelle Bedingungen vor Ort berücksichtigt. Von diesem Grundsatz werde ich nicht abweichen, solange ich die Geschicke von Trumpf mitbestimme.

(Michael Bröcker und Antje Höning führten das Gespräch.)
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