Ordnung, Disziplin, Seriosität als oberstes Prinzip Völler setzt gegen Spanien auf Daums System

Barsinghausen (dpa). Mit einem Knigge für die Profis, einem neuen taktischen Konzept und vielen guten Vorsätzen begann 55 Tage nach dem EM-Debakel das Wiedersehen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Gleich zum Auftakt der 72-stündigen Vorbereitung auf das Testspiel am Mittwoch (20.30 Uhr) in Hannover gegen Spanien mahnten der neue Teamchef Rudi Völler und Task-Force-Leiter Karl-Heinz Rummenigge in der ersten Teamsitzung den zuletzt offenbarten Sittenverfall an.

„Nach den Vorfällen in Holland müssen wichtige Attribute wieder eingeführt werden: Ordnung, Disziplin und Seriösität“, nannte Rummenigge die obersten Grundsätze für die Zukunft: „Es muss ein Tabu sein, dass sich Spieler öffentlich über Trainer, Mitspieler oder Taktik kritisch äußern. Für so jemand ist kein Platz in der Mannschaft.“

Zuvor hatte Völler in seiner Antrittsrede die Vergangenheit für erledigt erklärt. „Ich habe ganz klar zu verstehen gegeben, dass die Sache mit der EM mit dem gestrigen Tag beendet sein muss“, sagte Völler. Eine Diskussion ließ die sportliche Leitung nach den Ansprachen nicht zu. „Rudi hat die richtigen Worte gefunden. Die Mannschaft hat verstanden, dass sie nur dann eine Chance hat, wenn sie als verschworener Haufen auftritt und nicht als Gruppierung einiger Grüppchen“, attestierte Rummenigge.

„Jeder hat seine Prügel eingesteckt. Jetzt wird es Zeit, nach vorn zu schauen“, schilderte England-Legionär Christian Ziege, der ebenso wie Kapitän Oliver Bierhoff (AC Mailand) trotz verletzungsbedingtem Trainingsrückstands zum Neubeginn des DFB-Teams in der Sportschule Barsinghausen angereist war. Die beiden Rekonvaleszenten nahmen am Montagvormittag auch an der ersten Übungseinheit unter dem neuen Trainergespann auf dem gepflegten Rasen neben der Sportschule teil.

Unter der Aufsicht von Völler, in Trainingshose und Nationaltrikot standesgemäß gekleidet, leitete Erich Rutemöller die Aufwärmübungen und Chef-Assistent Michael Skibbe die fußballerischen Einheiten. „Es war kein Larifari-Training, wie das häufig nach einem Spieltag vonstatten geht. Ich hatte das Gefühl, dass die Spieler wissen, worum es geht“, sagte Völler über das eineinhalb Stunden dauernde Programm, zu dem die Fans nicht zugelassen waren. Am Nachmittag stand in Barsinghausen eine weitere Trainingseinheit auf dem Programm, für das 4 000 Freikarten an Kiebitze ausgegeben wurde.

Beim ersten Trainingsspielchen lüftete Völler das Geheimnis um das künftige Spielsystem: Der 40-Jährige setzt auf die vom künftigen Bundestrainer Christoph Daum bei Bayer 04 Leverkusen favorisierte Formation mit einer Dreier-Abwehrkette und einer in der Offensive variablen Spielanlage. Die mit orangefarbenen Leibchen ausgestattete vermeintliche A-Mannschaft wurde ihrer von Völler zugedachten Favoritenrolle gerecht und siegte nach Toren von Stefan Beinlich, Michael Ballack und Paulo Rink mit 3:0.

Das Leverkusener Trio hat beste Chancen, auch am Mittwoch im vermutlich nur mit rund 30 000 Zuschauern besetzten Niedersachsenstadion erste Wahl zu sein. „Im Prinzip habe ich die Aufstellung im Kopf. Nur bei ein, zwei Positionen bin ich mir noch nicht ganz sicher“, sagte Völler. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Erich Ribbeck, der sein EM-Personal lange Zeit im Unklaren ließ und damit verunsichert hatte, kündigte Völler die Nominierung seiner 3-4- 3-Formation für Dienstagvormittag an: „Beim Abschluss-Training muss jeder wissen, was er zu tun hat und wofür er verantwortlich ist.“

Im Tor wird der frisch gebackene „Fußballer des Jahres“ Oliver Kahn als Stellvertreter von Kapitän Oliver Bierhoff die Kapitänsbinde tragen; die von Jens Nowotny organisierte Abwehr-Reihe könnten Marko Rehmer und der vielseitige Jörg Heinrich komplettieren. Im Mittelfeld sind die Berliner Sebastian Deisler und Stefan Beinlich wohl erste Wahl, für die beiden Schaltzentralen stehen mit Ballack, Carsten Ramelow und Dietmar Hamann drei Kandidaten bereit. Im Angriff drängen sich Alexander Zickler, Paulo Rink und Mehmet Scholl auf, aber auch Carsten Jancker wartet auf seine Chance.

„Für Kader, Training und Taktik ist nur einer zuständig: Rudi Völler“, unterstrich Rummenigge, dass er lediglich als Beobachter und Symbolfigur das Programm der DFB-Auswahl verfolgt. Völlers Job bezeichnete Rummenigge als „nicht einfach, aber reizvoll“. In jedem Fall aber sei nicht mit einer schnellen Genesung des Patienten Nationalmannschaft zu rechnen: „Wir werden Geduld haben müssen. Mit Hand auflegen ist es nicht getan.“

(RPO Archiv)
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