Weitgehend unbekannt Emotionale Doku auf den Spuren des Menschen Gerd Müller

Mainz · Ein Dokumentarfilm begibt sich auf die Spurensuche zum Leben der Torjäger-Legende abseits der bekannten Bilder vom „Bomber der Nation“.

Gerd Müller im Portrait: Alle Infos zur verstorbenen Fußball-Legende
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Das Leben von Gerd Müller

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Foto: dpa

Gerd Müller hat im Fußball alles gewonnen, was nur möglich ist. Er wurde Weltmeister, Europameister, Europapokalsieger, deutscher Meister, deutscher Pokalsieger. Er hat 68 Tore in 62 Länderspielen für Deutschland, 365 in 427 Bundesligaspielen für Bayern München geschossen. Er traf im Liegen, im Sitzen, aus der Drehung, mit links, mit rechts, mit dem Kopf, mit dem Po. Er traf so zuverlässig, dass der Fußball-Duden ein neues Wort fürs Toreschießen fand: „Es müllert.“

Das alles wissen die Sportfans, und es wurde ihnen vor rund anderthalb Jahren noch mal ins Bewusstsein gerückt, als Deutschlands bester Stürmer aller Zeiten mit 75 Jahren in einem Pflegeheim in der Nähe von München gestorben war. Er litt seit Jahren an Alzheimer.

Die Sportbücher verwahren seinen Ruhm, sein unvergleichliches Spiel und seine Titelsammlung.

An den Menschen Müller ist aber niemand so recht herangekommen – nicht einmal seine langjährigen Mitspieler. Denn Müller war scheu, nur auf dem Fußballplatz extrovertiert und am liebsten zu Hause in seinem kleinbürgerlichen Reihenhaus in Straßlach. Wenn die Kollegen noch um die Häuser zogen, saß der Mann, der ihren Verein mit seinen Toren so groß gemacht hatte, daheim auf der Couch vor der Schrankwand im besten Gelsenkirchener Barock.

Der Dokumentarfilmer Uli Weidenbach hat sich auf die Spurensuche zum Menschen Müller begeben, auch wenn er als Titel in die angestaubte Überschriftensammlung des Fußballs greift: „Gerd Müller – der Bomber der Nation.“ Das Ergebnis der Spurensuche strahlt das ZDF als Einstimmung zur Weltmeisterschaft in Katar am 13. November (23.40 Uhr) aus. Es hätte durchaus ein bisschen früher sein dürfen, aber zum Glück gibt’s ja die schöne Einrichtung der Mediathek, in der der Film aufbewahrt wird.

Nördlingen verabschiedet sich mit Gedenkfeier von Gerd Müller
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Nördlingen verabschiedet sich mit Gedenkfeier von Gerd Müller

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Foto: dpa/Stefan Puchner

Weidenbach gelingt es, das Leben des großen Torjägers abseits der Stadien zumindest ein wenig stärker auszuleuchten, weil Müllers Ehefrau Uschi zum ersten Mal seit dem Tod ihres Mannes öffentlich spricht. Sie war es, die Müller in der Großstadt München von seinem Heimweh nach dem schwäbisch-bayerischen Nördlingen kurierte. Und sie machte sich damit nicht nur Freunde – vor allem in Müllers Heimat nicht. Wenn man dem Biografen des „Bombers“, Hans Woller, glaubt (und Weidenbach glaubt seinem Kronzeugen unbedingt), dann war Uschi Müller für viele Jahre in Nördlingen geradezu der Inbegriff des Bösen, weil sie den Gerd seiner Heimat entfremdete.

Aber auch in der Großstadt fühlte er sich eigentlich nur an Uschis Seite wohl, das beginnende öffentliche Theater um Showstars im Fußball war nicht seine Welt. Er wurde in diesem Zirkus nicht heimisch. Erst sehr spät, als er nach kurierter Alkoholabhängigkeit für fast zwei Jahrzehnte eine Nebenrolle im Trainerstab der Bayern spielte, fand der Heimatlose so etwas wie Heimat. Er fand vor allem Frieden.

Hermann Gerland, mit dem er zeitweise die Amateurmannschaft der Bayern betreute, ist einer von vielen im Film, die Müllers Freundlichkeit rühmen. „Er war ein unvorstellbar guter Spieler“, sagt Gerland, „aber ein noch besserer Mensch.“

Ehefrau Uschi kennt seine gutmütige Seite so gut wie die gelegentlich aufbrausende. „Er war einfach ein besonderer Mensch“, erklärt sie, „aber er war auch ein HB-Männchen und konnte richtig hochgehen. Und er war gern beleidigt.“ Sie habe das jedoch immer ausgleichen können.

Sie wich ihm auch nicht von der Seite, als nach dem größten Triumph, dem WM-Titel 1974 (natürlich durch sein entscheidendes Tor zum 2:1-Endstand gegen Holland), der Abstieg begann. „Der Gerd hatte kein Ziel mehr“, urteilt der damalige Torwart Sepp Maier, dem ihm Training nicht entging, dass „er sich hängen ließ“. Und die Alkoholfahne roch er auch. Müller ertrotzte sich einen späten Wechsel in die US-Liga. Sein Biograf beteuert, der Torjäger habe die Freigabe „erpresst“. Er habe damit gedroht, den „Schwarzgeld-Komplex hochgehen zu lassen“, mit dem der FC Bayern seine teuren Stars finanzierte. Von Marketingstrategien und Sponsoren konnte ja noch keine Rede sein.

In den Staaten fand Müller sein Glück nicht. Zwei akzeptable Spielzeiten lieferte er für Fort Lauderdale ab, dann bekam ihn der Alkohol so richtig in die Fänge.

Als kranker Mann kam er Mitte der 1980er nach Deutschland zurück. „Ich habe mir alles kaputt gemacht“, stellte er an anderer Stelle fest.

Uschi Müller sagt: „Es war so ein Reinrutschen in die Krankheit. Es war eine sehr, sehr schlimme Zeit.“ Alte Freunde aus der Bayernzeit halfen ihm heraus. Er machte eine Entziehungskur, und sein ehemaliger Mitspieler Uli Hoeneß verschaffte ihm seinen Job im Klub. Müller erlebte außerhalb der Schweinwerfer seine wohl glücklichste Zeit im Fußball. Hoeneß und Franz Beckenbauer, die an seiner Wiedereingliederung maßgeblich beteiligt waren, kommen im Film nicht zu Wort. Dafür Gerland („er war freundlich zu jedermann“) und Paul Breitner, der ihn in den letzten Jahren immer wieder besucht hat. Besuchen durfte, wie er versichert.

Über sechs Jahre fuhr Uschi Müller nahezu jeden Tag ins Heim, und es ist rührend, wenn sie erklärt: „Ich habe ihn ganz neu lieben gelernt.“

So kennen ihn alle Fußballfans: Gerd Müller jubelt am 7 Juli 1974 mit Bundestrainer Helmut Schön (l.) über den Sieg im WM-Finale gegen die Niederlande.

So kennen ihn alle Fußballfans: Gerd Müller jubelt am 7 Juli 1974 mit Bundestrainer Helmut Schön (l.) über den Sieg im WM-Finale gegen die Niederlande.

Foto: dpa/Karl Schnörrer

Der Dokumentarfilmer Weidenbach rahmt solche Bekenntnisse mit Bildern der wichtigsten Tore, mit Jubel und Spielszenen. Der Mensch Müller ist eben ohne den Torjäger Müller nicht denkbar. Der Film nennt ihn „unerreicht, unvergessen, unsterblich“. Trotz des Herantastens in der Doku aber bleibt er immer noch das: weitgehend unbekannt.

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