Analyse Kleinparteien pflügen Großbritanniens Politik um

London · Die Unterhauswahl im Mai könnte den Anfang vom Ende des britischen Zweiparteien-Systems bedeuten. Die Dominanz von Labour und Torys zerbröselt, weil kleinere Parteien an Zulauf gewinnen: euroskeptische Rechtspopulisten, schottische Nationalisten und Grüne.

Nicht mehr lange bis zur Wahl in Großbritannien, und der Ausgang ist ungewisser denn je. Seit mehr als 40 Jahren habe er Unterhauswahlen begleitet, meint Peter Kellner vom Umfrageinstitut YouGov, "aber noch nie war ich so unsicher wie jetzt". Dabei wird diese Wahl Anfang Mai wichtige Weichen stellen. Wenn die Konservativen gewinnen, dann gibt es eine Volksabstimmung über den Verbleib in der EU, und es wäre gut möglich, dass sich die Briten für den Austritt entscheiden. Wenn Labour an die Regierung kommt, dann vielleicht nur mit der Hilfe der schottischen Nationalisten von der SNP, die für ihre Unterstützung ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands fordern könnten.

Der Wahlkampf hatte schon vor Weihnachten begonnen, aber die beiden Hauptrivalen, Labour und die Konservativen, konnten ihre Umfragewerte bisher nicht verbessern. Die Konservativen bieten Steuersenkungen und Streichungen bei der Sozialhilfe an. Labour verspricht, mit einem Zehnjahresplan den Nationalen Gesundheitsdienst zu retten. Ob das die Leute zu den großen Volksparteien treiben wird, darf bezweifelt werden.

Denn der Trend ist unbestreitbar: Das Zwei-Parteien-System zerbröckelt. Auf höchstens 20 Prozent, so Kellner, würde er die Chance ansetzen, dass Labour oder die Konservativen eine absolute Mehrheit erringen können, wie das bis 2010 eigentlich immer der Fall war. Stattdessen werden die kleinen Parteien wichtiger. Die Rechtspopulisten von UKIP nehmen den Konservativen Stimmen weg, und Labour muss sich am linken Rand gegen die SNP und die Grünen wehren.

Wenn keine der großen Parteien allein regieren kann, dann sind nach der Wahl alle möglichen Szenarien denkbar: eine Labour-Koalition, eine Wiederholung der Zwangsheirat von Konservativen und Liberalen, eine Minderheitsregierung von Labour oder den Konservativen oder sogar bunte Mehrparteienkoalitionen in vielen Variationen. Peter Kellner hält es auch nicht für unwahrscheinlich, dass noch einmal nachgewählt werden könnte: "Und wenn der nächste Wahlausgang erneut unklare Verhältnisse produziert, dann wird man sich fragen müssen, ob unser Mehrheitswahlrecht noch angemessen ist."

Man darf sich auf einen Lagerwahlkampf einstellen, denn jede Partei wird sich auf ihre Kernwähler konzentrieren. Bei den kleinen Parteien sowieso, aber auch Labour und die Konservativen können nicht mehr den großen Bogen über die Mitte schlagen. Nachdem UKIP in den letzten Monaten mit den Themen Europa und Einwanderung die politischen Debatten bestimmte, haben die Torys erkannt, dass sie wohl lieber auf ihre Kernkompetenz setzen und ökonomische Themen forcieren sollten. Ihr Wahlkampfmotto wird sein: Wir haben die Wirtschaft wieder ans Laufen gebracht. Überlasst sie jetzt bloß nicht Labour, die den Karren vorher in den Graben gefahren haben.

Labour dagegen setzt auf die Botschaft, dass der derzeitige Wirtschaftsboom an den meisten Menschen vorbeigeht. Das Wort von der "Lebenshaltungskostenkrise" mag ungelenk klingen, fin det aber Resonanz, da die Löhne seit Jahren stagnieren. Allerdings war die Arbeiterpartei früher auch mal populärer. Hatte Labour noch vor einem Jahr mit rund 40 Prozent die Meinungsumfragen angeführt, so liegt man mittlerweile gleichauf mit den Konservativen bei knapp 30 Prozent. In Schottland deutet sich eine katastrophale Entwicklung für Labour an, die sich beim Referendum im September gegen die Unabhängigkeit aussprach. Seitdem hat die SNP einen Riesensatz in der Publikumsgunst gemacht. Labour riskiert, in der ehemaligen Hochburg Schottland so viele Sitze zu verlieren, dass es für eine Mehrheit im Unterhaus nicht mehr reichen würde.

Doch für Labour stellt sich das Problem, dass nicht politische Inhalte die Ursache für die schwindende Popularität wären, sondern eine Personalie: Ed Miliband, ihr Parteichef. Der Mann sieht partout nicht wie ein künftiger Premier aus, haben die Wahlbürger den Meinungsforschern gesagt. Das mag an Äußerlichkeiten liegen: an der näselnden Stimme, am intellektuellen Anstrich, am linkischen, um nicht zu sagen unreifen Auftreten. Jedenfalls steht fest, dass es Miliband schwer hat, beim Mann auf der Straße anzukommen. Authentisch und volksnah wirkt er nun mal nicht.

Paradoxerweise sehen Parteistrategen in den geplanten Fernsehdebatten das Mittel gegen Milibands Imageproblem. Gerade weil die Leute so wenig von ihm erwarten, könnte er mit einer guten Vorstellung so richtig punkten. Das weiß auch Premierminister David Cameron und versuchte über Wochen, mit immer neuen Forderungen die TV-Debatten zu torpedieren.

(RP)
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