Erste Gemeinschaftsschule besiegelt

NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann hat der Gemeinde Ascheberg grünes Licht für die neue Schulform gegeben. Doch das soll nur der Anfang sein: SPD und Grüne wollen bis 2015 rund 30 Prozent der weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen umgewandelt sehen.

Dem westfälischen Ascheberg ist landesweite Beachtung gewiss: In der 15 000-Einwohner-Gemeinde südlich von Münster darf Nordrhein-Westfalens erste Gemeinschaftsschule errichtet werden. Sie soll durch den Zusammenschluss der beiden örtlichen Haupt- und Realschulen entstehen und in den Klassen fünf und sechs auch "gymnasiale Standards" bieten. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) überreichte Aschebergs freudestrahlendem Bürgermeister Bert Risthaus (CDU) gestern in Düsseldorf die Genehmigung für diesen – wie sie sagt – "Schulversuch". Doch von Versuch kann eigentlich keine Rede sein, denn Ascheberg soll nach dem Willen von Rot-Grün eine radikale Wende in der NRW-Schulpolitik markieren. In Zukunft soll diese neue Schulform, in der die Schülerinnen und Schülerin mindestens in den Klassen fünf und sechs gemeinsam unterrichtet werden, flächendeckend vorhanden sein.

"Ascheberg ist erst der Anfang. Mit Ascheberg hat die Zukunft heute begonnen", frohlockt die Grünen-Bildungsexpertin Sigrid Beer. Bis 2015 sollen rund 30 Prozent der etwa 2000 weiterführenden Schulen in NRW in Gemeinschaftsschulen umgewandelt sein. So haben es SPD und Grüne im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch bislang hat außer Ascheberg nur die westfälische Stadt Billerbeck (westlich von Münster) einen Antrag gestellt. Darüber hinaus gibt es laut Löhrmann noch 50 Städte und Gemeinden, die an dieser neuen, wohnortnahen Schulform interessiert sind. Sie müssen sich beeilen: Bis zum Jahresende müssen ihre Anträge im Schulministerium vorliegen. Die Gemeinschaftsschule soll zum Schuljahr 2011/12 starten; bereits im Februar beginnt das Anmeldeverfahren.

Was aber ist mit den Gemeinden, die für ihr Bildungskonzept noch einige Monate Zeit brauchen? "Diese Frage stellt sich nicht", heißt es im Schulministerium unterkühlt. Sie stellt sich für die betroffenen Kommunen aber doch. Nach Informationen unserer Zeitung plant die Landesregierung, die Antragsfrist zu verlängern, wenn bis zur Jahreswende nur wenige Anträge vorliegen. Doch darüber mag niemand offiziell reden, weil noch nicht klar ist, wie man die Fristverlängerung rechtlich unterfüttern kann.

Zu den Hürden für eine Gemeinschaftsschule gehört der erforderliche "regionale Konsens": Städte, die die neue Schule haben wollen, müssen sich mit den Nachbargemeinden absprechen. Oft ist deren Furcht groß, dass durch die Gemeinschaftsschule Schüler abgeworben werden und die eigene Schule in Existenznot gerät.

Er habe einen Konsens mit den Nachbarn gefunden, beteuert Aschebergs Bürgermeister Risthaus. Doch sein Kollege aus Lüdinghausen, Richard Borgmann (CDU), widerspricht: "Einen regionalen Konsens mit der Gemeinde Lüdinghausen hat es nicht gegeben." Noch vertrackter ist die Lage in und um Billerbeck (11 500 Einwohner), das ebenfalls eine Gemeinschaftsschule einrichten will. Zehn Bürgermeister von Nachbargemeinden, davon fünf der CDU, zwei der SPD, zwei Parteilose und einer von der Freien Wählergemeinschaft, haben daher in einem Brief an die Schulministerin Alarm geschlagen. Sie befürchten, dass ihre Gymnasien zu viele Schüler an die Billerbecker Gemeinschaftsschule abgeben und notfalls geschlossen werden müssten. Wahrscheinlich wird die Bezirksregierung und am Ende wohl das Schulministerium entscheiden müssen, ob Billerbeck auch ohne regionalen Konsens die Schule bekommt.

Sie schiele nicht auf eine hohe Quote, beteuert die Schulministerin: "Ich mache keinerlei Druck." Die Experimentierklausel des geltenden Schulgesetzes ermögliche den Schulversuch Gemeinschaftsschule, sagt Sylvia Löhrmann zu der Kritik, dass zur Einführung einer neuen Schulform ein vom Landtag ordentlich verabschiedetes Schulgesetz notwendig sei. Alles andere sei verfassungswidrig, rügt der Bonner Rechtsexperte Klaus Ferdinand Gärditz. Löhrmann sieht das anders: Für sie liegt die Grenze bei 50 Gemeinschaftsschulen. Erst ab dieser Größenordnung brauche man ein Schulgesetz – doch dafür fehlt Rot-Grün eine Stimme im Landtag. Vielleicht macht die Linke mit. Von CDU und FDP ist keine Unterstützung zu erwarten. Sie werfen der Regierung vor, eine "Einheitsschule" schaffen zu wollen, die zudem stark privilegiert werde: Tatsächlich sind dort die Klassen kleiner und die Bedingungen für die Lehrer recht attraktiv.

(Rheinische Post)
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