Klöckner und Göring-Eckardt im Interview "Wir sind von Gott getragen"

(RP). Können Politiker etwas vom Osterfest lernen? Ein Doppelinterview mit zwei Frauen, die einerseits in der Politik aktiv sind, andererseits auch kirchliche Funktionen ausüben: Julia Klöckner, CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz und Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken, im Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Bundestagsvizepräsidentin und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Was bedeutet Ihnen Ostern?

Göring-Eckardt Für mich ist Ostern der höchste christliche Feiertag, mir ist Ostern wichtiger als Weihnachten. Ostern steht für die große Verwunderung, für das ewige Erstaunen: Jesus lebt, und wir sollen auch leben! Denn Gott zeigt in der Auferstehung: Dieser Jesus ist da und bleibt da, wir Menschen können ihn nicht zerstören, nicht verscharren, nicht mundtot machen. Deshalb ist Ostern das höchste Fest.

Was können Politiker vom Osterfest lernen?

Klöckner Das Osterfest zeigt, dass nach jedem Niederschlag ein Neuanfang möglich ist. Dass wir von Gott getragen sind. Das bezeichne ich als Urvertrauen — ein Geschenk, das mich ruhig und gelassen werden lässt.

Göring-Eckardt Ostern ist die Zusage, dass es bei Gott nichts Endgültiges gibt und man darum immer wieder neu anfangen kann, auch wenn man etwas komplett falsch gemacht hat oder zutiefst bereut. Man selbst darf verzweifelt sein. Selbst Jesus war verzweifelt. Aber die Verzweiflung behält nicht das letzte Wort.

Müssen Politiker die Osterbotschaften wie Demut, Vergebung, Wiederauferstehung mehr verinnerlichen?

Göring-Eckardt Politiker sind sehr normale Menschen. Die Frage ist, ob sie den Trost durch Gott empfinden und dadurch die Stärke haben, auch demütig sein zu können. Es ist ja eine Mutprobe, demütig zu sein. Man muss stark sein, wenn man sein eigenes Scheitern zugibt. Ich merke es immer wieder, dass die Leute völlig verblüfft sind, wenn ich einen Fehler zugebe.

Klöckner Politiker brauchen einen verlässlichen "Instrumentenkasten" an Grundüberzeugungen. Das christliche Menschenbild, Wert und Würde eines jeden Einzelnen, diese Grundüberzeugung hilft mir bei ethischen Fragen in der Politik. Bei der Entscheidung zur Patientenverfügung bin ich strikt gegen aktive Sterbehilfe, bei der Frage nach der Präimplantationsdiagnostik bin ich für den ungeteilten Embryonen-Schutz und deshalb gegen Embryonenvernichtung.

Göring-Eckardt Ich bin evangelisch geprägt, für mich gehört es zur Freiheit eines Christenmenschen, Positionen immer wieder anzweifeln und die Dinge immer wieder neu durchdenken zu können. Ich möchte nicht sagen: Sehr gut, dass da schon einmal jemand für mich nachgedacht hat, da mache ich jetzt einen Haken dahinter.

Klöckner So meine ich das auch nicht. Aber ich muss mich beim Embryonen-Schutz nicht jedes Mal wieder fragen, wann ein Leben beginnt. Es gibt Entscheidungen, da gibt es nur ein Ja oder ein Nein, nicht ein bisschen schwanger sein.

Sie haben beide kirchliche Funktionen und politische. Gab es noch nie eine Situation, in der Sie in die Zwickmühle geraten sind zwischen dem kirchlichen und dem politischen Amt?

Göring-Eckardt Es gibt Situationen, in denen ich unterscheide: Jetzt äußere ich mich dezidiert als grüne Politikerin und jetzt als Präses der evangelischen Kirche. Manchmal sage ich dann dazu, dass meine Kirche oder meine Partei das anders sehen.

Klöckner Für mich ist die Hartz-IV-Debatte ein Thema, bei dem kirchliche und politische Position nicht deckungsgleich sind. Kirche nimmt verständlich zuvorderst die Sicht der bedürftigen Betroffenen ein. In der Politik kommt eine Ebene hinzu: Zur Solidarität zählt auch, dass man den Blick auf die Personen richtet, die als Steuerzahler dafür sorgen, dass überhaupt etwas verteilt werden kann. Das Erhöhen der Hartz-IV-Sätze bedeutet eben auch, dass eine andere Gruppe mehr leisten muss. Wer mehr fordert, darf andere nicht überfordern. Die richtige Balance zu finden, darum wird in der Politik stark gerungen.

Gibt es in Deutschland zu viel oder zu wenig Nähe zwischen Kirche und Politik?

Göring-Eckardt Ich habe nach der friedlichen Revolution in der DDR gedacht, dass ich nun nicht mehr in den kirchlichen Dienst gehen kann. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man in einer Kirche arbeitet, die so nah am Staat ist. Heute bin ich der Meinung, dass Staat und Kirche in guter Weise aufeinander bezogen sind. Die Kirchen und kirchlichen Wohlfahrtsverbände ermutigen die Menschen, sie erinnern gewachsene, auch kritische Werte und betreiben Kindergärten und Schulen. Dadurch übernehmen sie Aufgaben von gesamtgesellschaftlichem Interesse, so dass nicht alles dem Staat allein überlassen wird. Einen allumfassenden Staat, der alles selbst bestimmen will, gab es in Deutschland nun schon häufig genug.

Wie kann ein aufgeklärtes Verhältnis zwischen Bürgern und Kirche heute funktionieren?

Klöckner In der katholischen Kirche sind im vergangenen Jahr so viele ausgetreten wie nie zuvor. Das ist mehr als nur ein harmloses Zeichen. Das Verhältnis Staat—Bürger— Kirche wird sich neu austarieren. Der Bürger spielt hier die entscheidende Rolle — in seiner Kritik, in seiner Emanzipation, aber auch in seinem Suchen.

Sollte die katholische Kirche sich vom Zölibat verabschieden?

Klöckner Den Zölibat wird es immer geben, und es sollte ihn auch geben können. Aber ich meine, der Pflichtzölibat für jeden Priester ist überholt. Es gibt doch viele Christen, die zum Priesteramt berufen sind, die aber eine andere Lebensform wählen möchten.

Ist es eine Existenzfrage für die katholische Kirche, ob sie sich gegenüber Frauen öffnet?

Klöckner Es ist eine Intelligenzfrage. Es ist unklug, auf die Fähigkeiten von Frauen freiwillig zu verzichten. Frauen dürfen zwar gerne das Altartuch zurechtlegen und fürs Pfarrfest den Kaffee kochen. Die Gaben der Frauen werden gerne großzügig gelobt, aber man hat den Eindruck, dass die katholische Kirche auf dem einen Auge, nämlich dem weiblichen, häufig blind ist. Mir ist klar, dass sich das nicht rasant ändern lässt, weil die Kirche Zeit braucht für Veränderungen.

Auch in der evangelischen Kirche gibt es in der Außendarstellung wenig Frauen. Warum ist das so?

Göring-Eckardt Immerhin ist in der evangelischen Kirche die Ordination von Frauen seit etwa 40 Jahren möglich und heute überall selbstverständlich. Schon Anfang der 90er wurde mit Maria Jepsen die erste lutherische Bischöfin weltweit in Hamburg gewählt, und noch vor eineinhalb Jahren waren zwei Frauen an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland: die damalige Bischöfin Margot Käßmann und ich. Frauen in der Kirche sind für uns ein wichtiges Thema, aber nicht nach dem Motto: Egal wie, es muss eine Frau sein.

Was erwarten Sie vom Papstbesuch?

Klöckner Wir haben ein großes Interesse daran, dass der Besuch ein Erfolg wird. Gut, dass der Papst auch in die neuen Bundesländer kommt und die friedliche Revolution würdigt. Es waren Christen, die entscheidend dazu beigetragen haben. Aber es ist auch wichtig, dass er die Reformation, Martin Luther, würdigt. Ein großes Jubiläum steht an, eine Chance für die Ökumene.

Göring-Eckardt Der Papst kommt in das evangelische Augustinerkloster in Erfurt und trifft sich dort mit Vertretern der evangelischen Kirche. Das ist an sich schon ein bemerkenswertes ökumenisches Signal.

Ist die Annäherung beider Kirchen notwendig für ihre Revitalisierung?

Göring-Eckardt Das Überleben der Kirchen hängt nicht von der Ökumene ab. Wir brauchen auch keine Zwangsökumene. Wenn wir jetzt damit beginnen würden zu sagen, wir müssen dies oder jenes ökumenisch mit aller Gewalt tun, haben wir schon verloren. Aber wir können doch jetzt schon eine ganze Menge zusammen machen. Und natürlich wird der evangelische Kirchentag demnächst in Dresden an vielen Stellen ökumenisch sein.

Klöckner Gleichmacherei ist nicht sinnvoll. Selbst innerhalb der katholischen Kirche gibt es genügend Unterschiede. Also wird es sie erst recht in der Ökumene geben. Kirchenkrisen mit Austritten haben immer etwas mit dem "Bodenpersonal" zu tun. Wenn ich eine Stunde lang im Gottesdienst war, muss er der Frage standhalten, ob ich auftanken konnte, ob ich was vom Predigtwort oder von der Gottesdienstgestaltung mitnehmen konnte, ob mir was fehlt, wenn ich nicht dort gewesen wäre. Das kirchliche Leben muss den Alltag erhellen. Das funktioniert nur über Personen. Und die Kirchenvertreter wissen, dass sie nicht mehr mit einer selbstverständlich großen Stammkundschaft rechnen können.

Göring-Eckardt Wir in den Kirchen haben in den vergangenen Jahren oftmals zu wenig Aufmerksamkeit darauf verwendet, was unser Kerngeschäft ist und was nur wir als Kirche können. Das Geistliche und das Gütige sind unsere Aufgaben, und ich glaube schon: Gott will uns gegenwärtig daran erinnern, dass wir das zu tun haben.

Das hört sich alles noch sehr undramatisch an.

Göring-Eckardt Weil ich gegen eine Dramatisierung bin. Ich will lieber die Situation, so wie sie ist, wahrnehmen und dann daraus lernen. Wir brauchen unter anderem eine neue Frömmigkeitsansprache und neue Formen der Gemeindearbeit, — insbesondere in den ländlichen Regionen. Früher gab es Wanderprediger und große geistliche Zentren in den Klöstern. Gerade in schwierigen Zeiten kann man ruhig auch mal darauf schauen, was die Alten gemacht haben.

Klöckner Das Tal der Tränen ist noch nicht erreicht. Die echte Renaissance des Glaubens und des kirchlichen Lebens lässt noch auf sich warten. Aber die, die glauben und im Namen Jesu unterwegs sind, die brennen auch für diese Idee. Das ist gut.

Haben wir in Deutschland eine Glaubens- oder eine Kirchenkrise?

Göring-Eckardt Die Frage dahinter heißt: Hat sich Gott jetzt eigentlich versteckt? Oder ist er ein unsichtbarer Gott geworden? Leben wir in einer zu geschäftigen, zu lauten, zu atemlosen Welt, um ihn zu entdecken?

... oder suchen wir ihn nur nicht mehr?

Göring-Eckardt Tatsächlich begeben sich heutzutage zu wenige Menschen auf die Suche nach diesem scheinbar unsichtbaren Gott. Dort, wo der Glaube an Gott nicht gelebt wird, tragen die kleinen Götter der Trivialisierung den Sieg davon. Auf der anderen Seite haben wir aber auch eine große Gottessehnsucht, weil viele hoffen, dass in schwierigen Situationen Gott da ist, um uns zu halten. Das treibt mehr Menschen um, als wir manchmal denken.

Klöckner Mangelnder Glaube ist eher Ausdruck des fehlenden Bewusstseins, dass da etwas Höheres ist. Die intensivsten Glaubensdiskussionen habe ich übrigens mit Atheisten. Jeder Mensch ist auf der Suche. Für mich hat es etwas Erlösendes, zu wissen, wonach ich suche.

Michael Bröcker, Rena Lehmann, Eva Quadbeck und Lothar Schröder führten das Gespräch.

(RP)
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