Diskriminierung trotzdem nicht abgeschafft Homosexualität seit 25 Jahren nicht mehr strafbar

Berlin · Mehr als 60.000 Menschen wurden in der Bundesrepublik auf Basis des sogenannten Schwulenparagrafen verurteilt. Vor 25 Jahren wurde der Paragraf 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Seitdem ist viel passiert.

 Ein Mann trägt einen Anstecker mit dem Umriss von Deutschland in Regenbogenfarben (Symbolfoto).

Ein Mann trägt einen Anstecker mit dem Umriss von Deutschland in Regenbogenfarben (Symbolfoto).

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Schwule und Lesben können heute offen ihre Liebe zeigen, heiraten, als Paar gemeinsam Steuern sparen. Vor 25 Jahren sah das noch anders aus. Bis zum 11. Juni 1994 galt Homosexualität in Deutschland unter Umständen als strafbar. Der entsprechende, mehr als 100 Jahre alte Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs wurde an diesem Tag offiziell gestrichen.

Die Nationalsozialisten hatten den Paragrafen, der noch aus der Kaiserzeit stammte, verschärft. Die Bundesrepublik hatte die verschärfte Regelung zuerst übernommen. Zwar wurde die Bestrafung erwachsener Homosexueller wegen „Unzucht“ 1969 abgeschafft. Endgültig gestrichen wurde der Paragraf 175 aber erst 1994. Geschätzt wird, dass auf seiner Basis in der Bundesrepublik rund 100.000 Prozesse geführt und 64.000 Menschen verurteilt wurden.

Die DDR liberalisierte ihre Strafvorschriften früher als die Bundesrepublik. Verurteilt wurden insgesamt etwa 4000 Männer. Faktisch wurde der Paragraf 175 in der DDR seit Ende der 1950er Jahre nicht mehr angewendet.

Seit der Streichung im vereinigten Deutschland 1994 ist einiges passiert: 2001 wird die eingetragene Partnerschaft für homosexuelle Paare ermöglicht, vier Jahre später wird die Adoption leiblicher Kinder des Partners erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet später, dass auch Adoptivkinder des Partners adoptiert werden dürfen und dass die steuerliche Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen beim Ehegattensplitting verfassungswidrig ist.

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Im Juni 2017 beschließt der Bundestag schließlich die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare - die Ehe für alle. Außerdem werden homosexuelle Justizopfer per Gesetz offiziell rehabilitiert: Frühere Urteile werden aufgehoben und eine finanzielle Entschädigung von 3000 Euro pro Person sowie 1500 Euro für jedes angefangene Jahr im Gefängnis werden beschlossen.

„In Deutschland wurde viel an gesellschaftlicher Freiheit und rechtlicher Gleichstellung erkämpft. Immer mehr Lesben und Schwule leben selbstbewusst und offen“, sagte Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), der Deutschen Presse-Agentur anlässlich des Jahrestags der Streichung von Paragraf 175. Trotzdem, so Ulrich, gehörten Beleidigungen, Diskriminierungen und Übergriffe bis hin zur offenen Gewalt weiterhin zur Wirklichkeit in Deutschland. „Homophobe Stimmen sind sogar in jüngster Zeit wieder deutlich lautstärker geworden.“

„Politische Stimmungslagen dürfen nicht zur Gefahr für Freiheit und Würde des Einzelnen werden“, warnte vor diesem Hintergrund der Sprecher für Lesben- und Schwulenpolitik der FDP-Fraktion, Jens Brandenburg. Seine Fraktion hat gemeinsam mit Grünen und Linken im Bundestag eine Initiative dafür gestartet, die sexuelle Identität ins Grundgesetz aufzunehmen. Erreicht werden soll damit, dass Menschen, die schwul, bisexuell oder transsexuell sind, vor Diskriminierung besser geschützt werden. Das solle „das Grundgesetz unmissverständlich im Wortlaut garantieren“, sagte Brandenburg der dpa. Die für diese Verfassungsänderung notwendigen Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat müssen aber noch organisiert werden.

„70 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes muss darin endlich auch die letzte von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe explizit genannt werden“, sagte die bei den Grünen zuständige Sprecherin für das Thema, Ulle Schauws, der dpa. Die Ehe für alle sei ein wichtiger Meilenstein gewesen. „Ich bin auch hier optimistisch, dass wir mit einer Mehrheit - auch dank des politischen Drucks und Unterstützung der Zivilgesellschaft - diesen Punkt bald in Artikel 3 stehen haben werden.“

Insgesamt ist die rechtliche Lage für Schwule und Lesben in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern fortschrittlich. Nach Informationen der Bundesregierung kann auch heute noch in sechs Ländern für Homosexualität die Todesstrafe verhängt werden: Im Iran, im Sudan, im Jemen, in Mauretanien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. In mindestens zehn Staaten drohen außerdem Strafen wie Stockhiebe und in vielen Ländern, vor allem in Asien und Afrika, stehen laut Bundesregierung lange Gefängnisstrafen auf Homosexualität.

(hebu/dpa)
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