Gott Und Die Welt Über die schlimme Nacht mit Gaby Hauptmann

Wohin bloß mit all den Büchern? Wenn der Platz eng wird, müssen Abkommen für die Zukunft des Wohnens getroffen werden. Und das hat mitunter ganz komische Konsequenzen.

Und es begab sich an diesem Morgen, dass ich zermürbt an Leib und Seele am Frühstückstisch erschien. Freilich war das die Folge einer nächtlichen Begebenheit, deren Ursache geraume Zeit zurückliegt. Beginnen wir darum mit dem Bekenntnis, dass unser Haus nicht unbedingt eine Stätte ausgesprochener Bücherhasser ist. Längere Zeit schien sogar die Neigung vorzuherrschen, erstaunlich viel Rücksicht zu nehmen auf die Deponierung von Druckware. Nachdem also ausreichend Regale samt Büchern im Wohn-, Arbeits-, Schlafzimmer und Gästezimmer untergekommen waren und es an die gleiche Ausstattung für Keller und Dachkammer ging, war es nur konsequent, den Lebensstil anzupassen. So wurden in einer zweiten Phase alle Betten zu Hochbetten, unter denen dann ebenfalls Regale Platz finden konnten, die Küche wurde abgeschafft und gleichsam zur Bibliothek erklärt. Alles nahm also seinen sehr guten Lauf, bis ich in die Kritik geriet, bloß weil ich Oma – die einen Raum im Obergeschoss ohne Schräge bewohnt, der für mindestens zehn Regalmeter gut ist – das Altersheim schmackhaft zu machen versuchte. Das Fass zum Überlaufen aber brachte mein heimlicher Versuch, die Beine des Esstisches abzusägen, um die Platte künftig mit Büchern abzustützen. Das war also der Grund für eine kurzfristig einberufene Sitzung des Familienrates, auf der folgendes Urteil erging: Ein neues Buch kommt nur ins Haus, wenn ein anderes Buch es gleichzeitig verlässt. Dieser Antrag wurde angenommen; mit einer Gegenstimme.

Fast alle waren also zufrieden, bis ich eines Abends an der Pforte des Hauses mit einem unangemeldeten Gaby-Hauptmann-Buch erwischt wurde. Ausgerechnet Gaby, deren literarische Befähigung größtenteils darin besteht, direkt neben Martin Walser zu wohnen. Die Lage war so absurd, dass ich einen kurzen Augenblick tatsächlich überlegte – entsprechend dem familiären Bücher-Codex –, für Gaby Hauptmann tollkühn "Tod in Venedig" von Thomas Mann zu entfernen. Aber dann regte sich Trotz, der wie jeder Trotz zwar lächerlich, aber nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Ich leistete also peinlichen Widerstand, was mir die Konfrontation mit folgender Frage eintrug: Du oder Gaby! Da erwachte der Halbwüchsige in mir und sagte zu meinem eigenen Erstaunen: entweder Gaby und ich – oder weder Gaby noch ich. So verbrachte ich die glücklicherweise laue Sommernacht mit Gaby auf der Gartenbank. Eine doofe Nacht. Und die Rückkehr an den Frühstückstisch war dementsprechend (siehe oben). Der staksige Gang aber war nicht der unbequemen Gartenbank geschuldet, sondern dem Taschenbuch, versteckt im Hosenbund. Denn welcher Halbwüchsige kann schon von einem Werk mit diesem Titel lassen: "Ich liebe Dich, aber nicht heute".

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(RP)
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