Bundesverfassungsgericht Karlsruhe stärkt Arbeitnehmerrechte

Karlsruhe/Wiesbaden (RPO). Das Bundesverfassungsgericht hat die Arbeitnehmerrechte bei der Privatisierung von Staatsbetrieben gestärkt. Nach der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung darf Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst nicht gegen ihren Willen ein neuer privater Arbeitgeber "aufgedrängt" werden.

 Die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts verkündeten am Mittwoch in Karlsruhe ihr Urteil zum Gentechnikgesetz.

Die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts verkündeten am Mittwoch in Karlsruhe ihr Urteil zum Gentechnikgesetz.

Foto: dapd

Sie müssten ein Widerspruchsrecht gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses haben. Andernfalls werde den Arbeitnehmern "eine erhebliches Maß an Bestandsschutz entzogen". Der Grundsatzbeschluss des Ersten Senats dürfte künftige Privatisierungen generell erschweren.

Das Land Hessen hatte bei der Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg dem Personal kein Widerspruchsrecht eingeräumt. Dadurch habe das Land die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer verletzt. Die entsprechende Regelung im Universitätsklinikgesetz von 2006 wurde für verfassungswidrig erklärt.

Ein anderslautendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde aufgehoben. Hessen muss bis Ende des Jahres 2011 eine Neuregelung treffen. Die Nichteinräumung eines Widerspruchsrechts sollte aus der Sicht des Landesgesetzgebers die Privatisierung erleichtern.

"Herbe Schlappe für Landesregierung"

Hessens SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel sprach von einer "herben Schlappe für die Landesregierung". Das Bundesverfassungsgericht habe die Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg in einem wesentlichen Teil für verfassungswidrig erklärt. Die Schutzrechte der Mitarbeiter seien durch Schwarz-Gelb sträflich missachtet worden.

Die Grünen und die Linke im hessischen Landtag sprachen von einer "Ohrfeige" für die Landesregierung. Diese habe die Privatisierung der Unikliniken trotz entsprechender Einwände "durchgezogen", kritisierte Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßte die Karlsruher Entscheidung. "Öffentlich-rechtliche Arbeitgeber müssen bei Privatisierungsvorhaben Arbeitnehmerrechte stärker berücksichtigen", betonte Jens Schubert, Leiter der ver.di-Rechtsabteilung in Berlin.

Ein Sprecher des hessischen Wissenschaftsministeriums lehnte zunächst eine Stellungnahme zu den Folgen des Richterspruchs ab.

Die Verfassungsbeschwerde einer Frau, die als Krankenschwester des Klinikums der Philipps-Universität Marburg beim Land beschäftigt war, hatte nun Erfolg. Ihr sei im Zuge der Privatisierung wegen des fehlenden Widerspruchsrechts "ein neuer, von ihr nicht frei gewählter Arbeitgeber aufgedrängt" worden, betonten die Verfassungsrichter. Die fehlende Widerspruchsmöglichkeit verletzte das Grundrecht auf freie Wahl beziehungsweise Beibehaltung des Arbeitsplatzes.

Im Jahr 2005 hatte Hessen vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Probleme beschlossen, die bis dahin selbstständigen Universitätskliniken Gießen und Marburg zunächst zusammenzulegen und danach zu privatisieren. Die Privatisierung erfolgte 2006. Das Land verkaufte 95 Prozent seiner Geschäftsanteile des neu geschaffenen Universitätsklinikums Gießen Marburg an einen privaten Krankenhausbetreiber.

Der verpflichtete sich, bis 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen. Ein Widerspruchsrecht des nicht-wissenschaftlichen Personals gegen den Wechsel ihres Arbeitgebers und den Verlust der Anstellung im öffentlichen Dienst gab es jedoch nicht.

(apd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort