Rekordnachfrage in vielen Städten Umstrittene Briefwahl wird immer beliebter

Berlin · Vor der Bundestagswahl nutzen nach ersten Angaben aus Kommunen erheblich mehr Bürger als 2009 die rechtlich umstrittene Möglichkeit zur Briefwahl. Nach einer am Dienstag veröffentlichten Reuters-Umfrage ist in vielen Großstädten die Zahl der ausgestellten Briefwahlunterlagen stark gestiegen.

Warum Deutschlands Promis (nicht) zur Wahl gehen
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So hat Berlin bisher rund 53.000 mehr Briefwahlunterlagen verschickt als zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren. Damit dürften sich in der Hauptstadt diesmal rund eine halbe Millionen Wähler am Sonntag den Gang ins Wahllokal sparen. Eine Sprecherin der Stadt Köln sprach von einem Rekordhoch bei den Briefwahlscheinen. Die Domstadt verzeichne zu 2009 eine Steigerung von rund 29 Prozent.

In Mainz hieß es, die Nachfrage nach Briefwahlunterlagen sei "markant hoch". Alleine am Montag hätten 1380 Wahlberechtigte Wahlscheine beantragt. Auch in München, Stuttgart, Hamburg und in anderen Kommunen ist die Stimmabgabe per Brief beliebter als 2009. Dabei wird als Briefwähler nicht nur gezählt, wer seine Stimme per Post abgibt. Auch Wähler, die persönlich in eines der schon vor dem eigentlichen Urnengang geöffneten Briefwahllokale ihrer Stadt gehen und dort ihre Kreuzchen machen, zählen dazu.

Die 1957 eingeführte Briefwahl war bereits wiederholt Gegenstand verfassungsrechtlicher Kontroversen. Einerseits soll sie die "Allgemeinheit der Wahl" sicherstellen, indem sie es den Bürgern ermöglicht, ihre Stimme abzugeben, auch wenn sie im Ausland sind oder wegen Krankheit, Behinderung oder aus anderen Gründen sonst nicht wählen könnten. Andererseits sind die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe und die Geheimhaltung der Wahl nicht im gleichen Maß gegeben wie bei der Wahl an der Urne.

Trend zeigt steil nach oben

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Briefwahl 1967 und 1981 dennoch als verfassungsgemäß beurteilt und der Allgemeinheit der Wahl - und damit einer hohen Wahlbeteiligung - mehr Gewicht beigemessen. Ulrich Battis, emeritierter Staatsrechtler der Humboldt Universität Berlin, sieht die wachsende Zahl an Briefwählern kritisch: "Briefwahl darf nicht von der Ausnahme zur Regel werden", sagte er zu Reuters. Würde die prozentuale Briefwahlbeteiligung einen Wert zwischen 30 und 40 Prozent annehmen, sei seiner Meinung nach eine erneute Abwägung des Verfassungsgerichts nötig.

Bei den Bürgern wird Briefwahl immer beliebter: 2009 nutzten 21,4 Prozent der Wähler diese Möglichkeit, 1990 waren es nur 9,8 Prozent. Der steile Anstieg hängt auch damit zusammen, dass man seit 2008 keine Gründe mehr für die Briefwahl angeben muss. Nach Angaben aus den Kommunen haben viele Wahlberechtigte ihre Briefwahlunterlagen bereits zurückgeschickt - für sie ist der Wahlkampf damit gelaufen.

Das findet Battis bedenklich: "Demokratie ist ein Kampf von Argumenten", sagte er. Diese solle man bis zum Ende berücksichtigen, weil der Wahlkampf vor allem in den letzten Wochen spannend werde. "Es wäre sinnvoll, wenn es eine Frist gäbe, die eine Abstimmung frühestens zwei Wochen vor dem eigentlichen Wahltermin ermöglicht", schlug er vor. Bei der jetzigen Bundestagswahl gilt eine Frist von drei Wochen. In Erfurt zum Beispiel sind nach Stand vom Montag bereits über 70 Prozent der ausgestellten Briefwahlscheine schon wieder bei der Stadt eingegangen. In Halle an der Saale waren es rund 67 Prozent, ebenso viele in Rostock.

(REU)
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