2015: Türkei steht vor turbulentem Jahr Erdogan treibt die Polarisierung der Gesellschaft voran

Istanbul · Für Recep Tayyip Erdogan war 2014 ein erfolgreiches Jahr: Er hat die Kommunal- und die Präsidentschaftswahlen gewonnen, er hat die juristische Untersuchung von Korruptionsvorwürfen erfolgreich unterdrückt, und er hat seine Gegner in der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen durch Festnahmen und Säuberungen im Staatsapparat in die Defensive gedrängt. Doch im neuen Jahr könnte es schwierig werden für ihn und sein Land.

Recep Tayyip Erdogan treibt die Polarisierung der Gesellschaft voran
Foto: Andreas Endermann

Der 60-jährige Erdogan ist in diesem Jahr immer mehr in den Mittelpunkt eines Personenkultes gerückt. Als erster direkt gewählter Präsident seines Landes macht Erdogan gar nicht erst den Versuch, unparteiisch zu sein und alle Türken zu repräsentieren. Wie in seiner vorherigen Rolle als Ministerpräsident treibt er die Polarisierung der Gesellschaft voran, um die islamisch-konservativen Wähler um seine Partei AKP zu scharen.

Diese Taktik hat ihm in den vergangenen Jahren viele Wahlsiege eingebracht. Im Frühsommer des neuen Jahres soll das noch einmal fuktionieren, die AKP strebt bei den Parlamentswahlen mehr als 50 Prozent der Stimmen an. Mit einer ausgebauten Parlamentsmehrheit will Erdogan anschließend per Volksabstimmung eine Verfassungsänderung durchsetzen, die dem Präsidentenamt mehr Macht einräumt. Schon ab Januar will Erdogan als Präsident die wöchentlichen Sitzungen des Kabinetts leiten.

Nur die Justiz versucht gegenzuhalten

Teile der Justiz, der Polizei, der Wirtschaft und der Presse sind Erdogan treu ergeben. Die Opposition in Ankara ist zu schwach, um die AKP-Regierung zu kontrollieren. Lediglich das Verfassungsgericht und andere hohe Gerichte sowie die Zentralbank haben in den vergangenen Monaten mit ihren Entscheidungen gezeigt, dass sie nicht ohne weiteres vor Erdogan einknicken.

Der Präsident reagiert auf solche Widersetzlichkeiten mit Verärgerung. In Erdogans "Neuer Türkei" versteht die Führung des Staates selbst harmlose Kritik von anderen Akteuren immer häufiger als Majestätsbeleidigung und Putschversuch. Erdogans schroffe Reaktion auf die Kritik der EU an den jüngsten Festnahmen von Journalisten verdeutlicht zudem, dass sich der Präsident auch von den Europäern ungerecht behandelt fühlt. Forderungen aus Brüssel nach Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze sieht er als unerlaubte Einmischung.

Mitten in diesem aufgeladenen politischen Klima muss die Türkei im neuen Jahr mit schwierigen Situationen zurechtkommen. Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre ist vorbei, das Wachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Bei den Bemühungen um eine Beendigung des Kurdenkonflikts fordern die PKK-Rebellen eine Lösung noch vor den Wahlen im Sommer und drohen mit einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. An den Südgrenzen der Türkei wächst die Bedrohung durch den "Islamischen Staat".

Einige Meinungsumfragen legen zudem nahe, dass die AKP an Rückhalt verliert. Sollte sie bei den Parlamentswahlen ihr Ziel verfehlen, müsste Erdogan als Präsident möglicherweise mit einer Koalitionsregierung aus den bisherigen Oppositionsparteien zurechtkommen. Das Jahr 2015 könnte für die Türkei sehr turbulent werden.

(RP)
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