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Journalistin Theresa Breuer über ihre Arbeit für Afghanistan „Es herrscht bittere Not in Kabul“

Interview | Düsseldorf · Im letzten Moment gelang es der Rettungsinitiative Kabul Luftbrücke im August, 189 Menschen aus dem belagerten Flughafen der afghanischen Hauptstadt in Sicherheit zu bringen. Es war die erste zivile Evakuierungsaktion aus einem umkämpften Land. Wie es dazu kam. Und warum die Gruppe weitermacht.

 Ein Mann in Kabul verteilt Brot an notleidende Menschen. In der Öffentlichkeit sind Frauen in Kabul wegen der Taliban gezwungen, Burka zu tragen (Symbolbild).

Ein Mann in Kabul verteilt Brot an notleidende Menschen. In der Öffentlichkeit sind Frauen in Kabul wegen der Taliban gezwungen, Burka zu tragen (Symbolbild).

Foto: AP/Petros Giannakouris

Theresa Breuer ist Journalistin, Aktivistin und eine Gründerin der Kabul Luftbrücke. Ein Gespräch über  Mut, Zähigkeit und den Willen, Unmögliches für möglich zu halten.

Wie sind sie auf die Idee gekommen, privat Menschen aus dem umkämpften Afghanistan zu retten?

Breuer Ich hatte eigentlich vorgehabt, im Sommer wieder eine Zeit lang in Afghanistan zu leben. Doch dann nahmen die Taliban im August in diesem wahnsinnigen Tempo Provinz um Provinz ein und mir wurde klar, dass die Übersetzer, Frauenrechtsaktivistinnen und Freunde, mit denen ich gearbeitet hatte, in großer Gefahr waren – allein durch den Kontakt zu mir. Denn für die Taliban ist jeder, der mit Menschen aus dem Westen zusammenarbeitet, ein Verräter und Feind. Ich hätte es als unethisch empfunden, nur als Reporterin nach Afghanistan zu reisen und zu berichten, was mit den Menschen passiert. Ich spürte, dass ich in diesem Fall die Verantwortung hatte, sie dort herauszuholen.

Andere Leute hätten sich ans Auswärtige Amt gewandt. Tausende haben das im Sommer auch getan. Wieso dachten Sie, dass das nicht genügt?

Breuer Die irrwitzige Idee, privat ein Flugzeug zu chartern und nach Afghanistan zu fliegen, ist schon entstanden, als die Taliban noch gar nicht bis nach Kabul vorgedrungen waren. Uns war schon früh klar, dass die Lage wirklich ernst wurde. Damals habe ich Freunde aus der Seenotrettung kontaktiert, weil die sich mit Evakuierung auskennen. Ruben Neugebauer von Seawatch dachte damals auch gerade darüber nach, was man tun könnte. Keiner meiner Bekannten in Afghanistan hatte irgendein Visum, um aus dem Land zu kommen. Die hatten vielleicht einen Termin bei der deutschen, türkischen oder indischen Botschaft in Aussicht, mehr nicht. Mir war aber klar, dass wir keine Zeit mehr verlieren durften, weil die Taliban sehr viel schneller die Macht erobern würden. Der Plan mit dem Flugzeug war eine Art Piratenidee. Wir dachten, Hauptsache, wir bekommen die Leute raus aus dem Land. Als die Taliban dann aber schon nach Kabul vorgedrungen waren, haben wir zuerst auch offizielle Wege versucht, haben uns ans Auswärtige Amt gewandt, haben jeden Meschen kontaktiert, von dem wir hofften, dass er Beziehungen spielen lassen könnte. Und dann gingen die Bilder um die Welt von Menschen, die sich an Flugzeuge hängten. Gleichzeitig wurde bekannt, dass in den ersten Fliegern der Bundeswehr nur eine Handvoll Menschen saß. Da wurde uns klar, dass da etwas massiv falsch lief. Und dass die Chancen für unsere Kontaktpersonen in Afghanistan zumindest nicht sinken würden, wenn wir parallel mit zivilen Mitteln versuchen würden, sie in Sicherheit zu bringen.

Sie haben dann einen Flieger nach Kabul gebracht, sind persönlich mitgeflogen, aber die Menschen, die sie evakuieren wollten, haben es nicht rechtzeitig in den belagerten Flughafen geschafft. Erst in allerletzter Minute ist es der Kabul Luftbrücke doch gelungen, 189 Menschen noch in Sicherheit zu bringen. Wenn sie heute auf diese dramatischen Tage blicken: Wo lagen die Schwierigkeiten?

Breuer Wir hatten schon früh Kontakt zum katarischen Außenministerium, weil die Katarer Beziehungen zu den Taliban unterhalten. Ich habe also in Katar für unseren Konvoi sicheres Geleit beantragt. Das wurde uns auch zugesagt – unter der Bedingung, dass die Bundesregierung bestätigt, dass die gefährdeten Leute aus unseren Bussen auch zur Einreise in Deutschland berechtigt sind. Diese Kommunikation zwischen deutschen Außenministerium und Katarern hat nicht rechtzeitig stattgefunden. So wurde es für uns ungeheuer schwierig, die Leute überhaupt in den Flughafen von Kabul hineinzubringen. Erst im letzten Moment ist es uns doch gelungen, und die Menschen konnten mit den letzten amerikanischen Militärmaschinen ausfliegen.

Fehlte es also auch an politischem Willen in Deutschland?

Breuer Die Bundesregierung hat sicher viel zu spät realisiert, was in Afghanistan vor sich ging, obwohl es entsprechende geheimdienstliche Berichte gab. Für die deutsche Außenpolitik war Afghanistan ein stiefmütterliches Thema. Als es dann zur Katastrophe kam, herrschte völlige Überforderung. Wir waren eine zivile Gruppe, die sich wie aus dem Nichts zusammengetan hatte. Den deutschen Diplomaten war sicher anfangs nicht klar, wie wir einzuschätzen waren und ob wir unnötig Ressourcen blockierten. Am Ende hat uns der Erfolg aber Recht gegeben. Darum habe ich Verständnis dafür, wie es in der akuten Phase gelaufen ist, finde es aber schwieriger, dass die Zusammenarbeit auch danach nur mäßig funktioniert hat.

Gab es einen Moment, in dem sie dachten, dass ihr Vorhaben eine Nummer zu groß sein könnte?

Breuer Die akute Rettungsaktion war etwas sehr Ernstes, vielleicht habe ich noch nie in meinem Leben etwas so ernst genommen. Doch zugleich habe ich mich manchmal gefühlt wie in einem Hollywood-Film. Und uns war klar, dass wir ein Happy-End schaffen müssen. Wenn wir die Menschen nicht in den Flughafen gebracht hätten, wären wir auch als zivilie Initiative gescheitert. Niemand hätte mehr nach uns gefragt. Ich habe aber die ganze Zeit geglaubt, dass wir es schaffen werden – wegen unseres Teams. Da hatten sich so extrem fähige Leute zusammengefunden. Die Leute von Seawatch zum Beispiel, die leisten ja auch in anderen Krisenregionen unglaublich viel. Dazu sind wir von Menschen aus Geheimdiensten, von Elitesoldaten, von zivilen Leuten mit Beziehungen bis ins Weiße Haus unterstützt worden. Wir waren eine Gruppe, die zehn Tage lang, 24 Stunden am Tag für die gleiche Sache gekämpft hat. Und zwar nie unter dem Aspekt: Ich will meine Leute da rausbringen, sondern, wir wollen zusammen möglichst viele Menschen da rausbringen. Dieser Gedanke hat alles möglich gemacht.

Sie haben einen Dokumentarfilm gedreht, für den sie mit afghanischen Frauen auf einen 7500 Meter hohen Berg gestiegen sind. Hat diese Extremerfahrung sie verändert – und vielleicht auch vorbereitet auf die Evakuierungsaktion?

Breuer Absolut. Die Bergexpedition hat mir das Selbstbewusstsein gegeben. Ich habe dabei gelernt, dass etwas nicht unmöglich ist, nur weil es andere für unmöglich halten. Das Projekt habe ich mit einer Fotografin begonnen, wir konnten beide nicht filmen, waren noch nie auf einen Berg geklettert... Eine Schnapsidee war das, die wir tatsächlich in einer betrunkenen Nacht geboren haben. Wir mussten Bergführerinnen finden, mussten sehr viel Geld auftreiben, Ausrüstung beschaffen. Es gab einen Rückschlag nach dem anderen. Die Taliban haben etwa kurz vor der Expidition das Dorf angegriffen, aus dem wir starten wollten. Aber wir haben uns einfach nicht aufhalten lassen, haben jeden Tag hundert Prozent für unser Ziel gegeben und uns bei jeder Niederlage gesagt: Das ist nur vorübergehend, das bringt uns nicht ab. Wenn man sich nicht entmutigen lässt, kann man sehr viel erreichen.

Wo wurzelt diese Zähigkeit in ihrem Leben?

Breuer Ich bin behütet aufgewachsen in seinem sehr liebevollen Haushalt. Ich bin die älteste von vier Geschwistern und hatte bei allem, was ich im Leben so gemacht habe, die Unterstützung meiner Eltern. Vor allem die meiner Mutter. Nie im Leben habe ich gehört: Das kannst du nicht – weil du ne reiche Göre aus Wiesbaden bist oder weil du ein Mädchen bist! Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass mir die Welt offensteht. Und dass ich alles erreichen kann, wenn ich das möchte. Dabei ist in meinem Leben nicht alles glatt gelaufen. Aber ich hatte immer einen Ort, an den ich zurückkehren konnte, und wo mir keine Vorhaltungen gemacht wurden. Wahrscheinlich ist das das größte Privileg meines Lebens: eine Familie zu haben, die immer an mich geglaubt hat.

189 Menschen haben sie mit größtem Aufwand aus Kabul gerettet. Hatten sie mal den Gedanken, dass das nur der berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein ist?

Breuer Nein. Nach der ersten Evakuierung ging es ja gleich weiter. Es gab Menschen, die wir zurücklassen mussten, die aber hochgradig gefährdet waren. Für die haben wir dann nach Fluchtwegen über Land gesucht. Ich bin gleich nach Pakistan geflogen, hab Kontakt zur deutschen Botschaft in Islamabad aufgebaut und habe von dort aus versucht, weiteren Menschen zu helfen. Wir haben gemerkt, dass Deutschland durchaus bereit war, gefährdete Leute aufzunehmen, aber nicht wusste, wie. Wir wussten, wie. Wir konnten helfen, darum haben wir weitergemacht und tun es bis heute.

Wie viele gefährdete Menschen sind jetzt noch in Afghanistan?

Breuer Das ist schwer zu sagen. Es gibt noch immer Zehntausende mit Evakuierungszusage. Wir bekommen täglich Hunderte Mails mit Hilfeanfragen. Den meisten können wir nicht helfen, weil sie keine Aufnahmezusage für Deutschland haben. Aber wenn sie eine Zusage besitzen, besorgen wir ihnen Pässe und Visa, bringen sie in Hotels unter, haben inzwischen sogar schon bei zwei, drei Geburten unterstützt.

Wie lässt sich ermessen, wer in Afghanistan akut gefährdet ist?

Breuer Das kommt darauf an, wie man Gefährdung definiert. Manchen wird nach dem Leben getrachtet, weil sie sich persönlich mit Taliban in ihrer Provinz angelegt haben. Auf der anderen Seite gibt es höchst gefährdete Menschen, die keinerlei Evakuierungschancen haben, weil sie nicht für den Westen gearbeitet haben. Dabei ist es widersinnig, dass ein Fliesenleger, der für die Bundeswehr tätig war, eher ausgeflogen wird als eine Frauenrechtlerin, die sich gegen gewalttätige Ehemänner engagiert hat, nur weil diese Frau kein Englisch spricht und nicht für westliche Organisationen gearbeitet hat. Dazu muss man leider sagen, dass die Lage in Afghanistan im Moment für alle Menschen katastrophal ist: Der Winter hat begonnen, nach Ernteausfällen im Sommer hungern viele Familien, viele Banken sind geschlossen, es herrscht bittere Not.

Was bleibt also zu tun?

Breuer Jede internationale Hilfe für die Taliban sollte an die Einhaltung der Frauenrechte gekoppelt werden. Autoritäre Regime können funktionieren, auch wenn uns das nicht gefällt. Aber dafür dürfen wir nicht in Kauf nehmen, dass die Hälfte der Bevölkerung komplett unterdrückt wird und Gewalt durch Männer ausgeliefert ist. Der Westen muss darauf dringen, dass wenigstens die Schulen und Universitäten für Frauen offen bleiben und sie weiterhin arbeiten dürfen.

Die Kabul Luftbrücke hat inzwischen über 1000 Menschen evakuiert. Dafür waren sie auch wieder in Afghanistan. Wie haben sie das Land unter den Taliban erlebt?

Breuer Es war bizarr, weil es so ruhig war. Das liegt natürlich daran, dass die Männer, die das Land früher so unsicher gemacht haben, jetzt für die Sicherheit sorgen. Außerdem scheinen die Taliban daran interessiert, dass Ausländern im Moment nichts passiert. Ich bin dort sogar Auto gefahren, das hätte ich früher nie getan. Aber diese äußerliche Ruhe hat natürlich einen Preis. In den Häusern herrscht unglaubliche Angst und finanzielle Not. Ich habe Menschen auf der Straße gesehen, die ihre Winterkleider verkaufen für ein Stück Brot, obwohl jetzt bitterkalte Monate kommen. Das ist auch Gefährdung.

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