Tschechien wählt ein neues Parlament Ein Stinkefinger provoziert die Prager Burg

Prag · Ein riesiger Stinkefinger stört den Blick auf die Prager Burg, den berühmten Hradschin. Tschechien wählt – und der Aktionskünstler David Cerny hat noch einmal auf den Putz gehauen. Denn knapp 24 Jahre nach der demokratischen Wende stehen die Kommunisten in Tschechien kurz davor, wieder direkt Einfluss auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Das passt Cerny ganz und gar nicht.

Ein Rundgang durch Prag
18 Bilder

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Ein riesiger Stinkefinger stört den Blick auf die Prager Burg, den berühmten Hradschin. Tschechien wählt — und der Aktionskünstler David Cerny hat noch einmal auf den Putz gehauen. Denn knapp 24 Jahre nach der demokratischen Wende stehen die Kommunisten in Tschechien kurz davor, wieder direkt Einfluss auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Das passt Cerny ganz und gar nicht.

Die kommunistische Partei mit dem roten Stern im Logo hat sich immer noch nicht von ihrer Vergangenheit losgesagt. "In vieler Hinsicht ging es vor 1989 gerechter zu als heute", sagte jüngst KSCM-Parteichef Vojtech Filip. Die "Roten" fordern weiter den Austritt aus der Nato — für andere Parteien ein Tabubruch. "Weil sich die Kommunisten in den letzten 24 Jahren die Hände nicht in der Regierung schmutzig gemacht haben, sind sie heute auch eine Protestpartei", erklärt der Politologe Jiri Pehe.

Die riesige, violette Mittelfinger-Skulptur des Aktionskünstlers Cerny jedenfalls treibt seit Montagmorgen auf der Moldau im Stadtzentrum von Prag. Der Finger zeigt in Richtung der Prager Burg, dem Amtssitz des linksgerichteten Präsidenten Milos Zeman. "Das ist mein Beitrag zur vorgezogenen Parlamentswahl", sagte Cerny dem tschechischen Rundfunk.

"Das ist ein Stinkefinger für die beschissene kommunistische Bande auf der Prager Burg", sagte Cerny dem Nachrichtenportal "iDnes.cz". Der Künstler unterstützt die konservative Partei TOP09 des Ex-Außenministers Karel Schwarzenberg. Schwarzenberg wirft seinem politischen Erzfeind Zeman vor, nach einem Präsidialsystem mit autoritären Tendenzen zu streben.

Cerny gilt als überzeugter Antikommunist. Der Künstler sorgt immer wieder mit politischen Aktionen für Aufsehen. Mit seiner Skulptur "Entropa" hatte der Tscheche vor vier Jahren die Europäische Union vorgeführt. Damals stellte er Bulgarien als türkische Toilette und Deutschland als Autobahn-Hakenkreuz dar.

Kommunisten als mögliche Mehrheitsbeschaffer

Die Tschechen wählen am Freitag und Samstag ein neues Abgeordnetenhaus. Zeman plädiert für eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit Tolerierung der Kommunisten. Bei der Wahl gilt ein Sieg der Sozialdemokraten (CSSD) nach Umfragen als sichere Sache.

"Unser Projekt ist eine einfarbige Regierung", kündigte Parteichef Bohuslav Sobotka an. Der 42-Jährige braucht Mehrheitsbeschaffer, und da kommen ihm die Kommunisten ganz gelegen, die aber Gegenleistungen erwarten. In letzten Wahlprognosen lagen die Sozialdemokraten zwischen 23 und 26 Prozent sowie die Kommunisten zwischen 14 Prozent und 18 Prozent. Die linken Parteien versprechen den Wählern, die wirtschaftlichen Probleme vieler Menschen in Tschechien zu lösen. Die soziale Krise trifft vor allem den industriellen Osten hart.

Wie eine Insel der Seligen wirkt da die konservative Hochburg Prag, die den Lebensstandard in die Höhe zieht. In einem Szeneviertel hat Dominika hier mit Freunden nach dem Studium ein schickes Café eröffnet, das italienischen Espresso und frischen Kuchen bietet. "Wer nicht wählen geht, schenkt seine Stimme den Kommunisten", hätten ihre Eltern ihr jahrelang eingeschärft, sagt die Jungunternehmerin.

Die 25-Jährige erhofft sich von der Wahl vor allem notwendige Reformen und ein Ende des Stillstands. Die Kampagne der bürgerlichen Partei TOP09 findet die Kaffeehaus-Betreiberin zwar cool, ganz entschlossen hat sie sich aber noch nicht.

Vom "Agenten 009" bis zu Pfannkuchen

Im Fernsehen rast TOP09-Chef Karel Schwarzenberg als "Agent 009" im Stil von James-Bond-Filmen durch die Straßen, um so wörtlich die Republik zu retten. Gefahr droht nach Meinung des Fürsten vom linken Präsidenten Milos Zeman. Schwarzenberg warnt wiederholt: "Wir sind auf dem Weg zu einem autoritären Regime."

Für eine Überraschung könnte noch die Bewegung ANO des Agrar-Milliardärs Andrej Babis sorgen. Er wirbt mit eingängigen Slogans wie "Wir sind keine Politiker, sondern wir schuften". Dabei gibt sich der 59-Jährige volksnah, verteilt in U-Bahn-Stationen Berliner Pfannkuchen an Passanten und hört ihren Sorgen zu. Seine Wahlkampagne lässt er sich fast zwei Millionen Euro kosten.

"Es geht mir nicht darum, noch reicher zu werden", sagte Babis. Doch der Politologe Pehe sieht diese und andere neuen "Bewegungen" kritisch: "Sie haben kein klares Programm, werden jeweils von einer einzigen Führungsperson kontrolliert und behaupten, die Parteipolitik sei verdorben." Antipolitik könne kein Ausweg aus der Vertrauenskrise sein.

In einer Umfrage stimmten 83 Prozent der Befragten der Aussage zu, die Parteien seien korrupt. Die Ursachen reichten bis zur wilden Privatisierung zurück, meint Pehe. Seitdem seien Politik und Geschäft eng verknüpft. Angesichts der jüngsten politischen Affären stellt er fest: "Die Mehrheit der Menschen glaubt, dass es auch mit den Kommunisten kaum schlimmer kommen kann."

(dpa)
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