Zwischen Wutanfällen und Depressionen Die letzten Wochen von Muammar al Gaddafi

Misrata (RPO). Die letzten Wochen im Leben von Muammar al Gaddafi waren geprägt von Flucht, Depressionen und der Fehleinschätzung hinsichtlich seiner eigenen Lage. "Er hätte das Land verlassen und ein glückliches Leben führen können", sagt Mansur Dao, ein enger Vertrauter Gaddafis und ehemaliger Kommandant der gefürchteten Revolutionsgarde.

Oktober 2011: Schlangestehen für Gaddafis Leichnam
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Dao war bis zum Schluss dabei, als der frühere Machthaber zusammen mit seinem Sohn Muatassim und zwei Dutzend weiteren Getreuen in seiner Heimatstadt Sirte von Versteck zu Versteck flüchtete.

Der Mann, der einst ein Volk von sechs Millionen mit eiserner Hand regierte, vertrieb sich seine letzten Tage mit lesen, Notizen machen und Tee kochen, sagt Dao im Hauptquartier der einstigen Revolutionsgarde in der Hafenstadt Misrata. Dort wird er derzeit festgehalten. "Er hat die Kämpfe nicht geführt", sagt Dao über Gaddafi, "seine Söhne haben das getan. Er hat überhaupt nichts mehr geplant oder auch nur über Pläne nachgedacht."

Gaddafi habe Tripolis am 18. oder 19. August verlassen, sagt Dao, kurz bevor die Rebellen die Stadt einnahmen. Nachdem die Hauptstadt gefallen war, sei Gaddafi direkt nach Sirte geflüchtet, begleitet von seinem Sohn Muatassim. Gaddafis designierter Nachfolger, sein Sohn Seif al Islam, habe sich in die Gaddafi-Hochburg Ben Walid in Sicherheit gebracht.

Gestresst, ärgerlich, manchmal auch richtig wütend

Gaddafis Anhänger hatten immer wieder versucht, den Diktator zu überreden, aufzugeben und das Land zu verlassen. Der lehnte das ab, weil er laut Dao lieber im Land seiner Vorfahren sterben wollte. "Er tut mir leid, weil er seine Situation so falsch eingeschätzt hat", sagt Dao, der seit mehr als dreißig Jahren im direkten Umfeld von Gaddafi gearbeitet hat, seit 1990 auch als sein persönlicher Sicherheitschef.

In Sirte wechselten die Gaddafi-Getreuen alle vier Tage das Versteck, während die Nato die Stadt bombardierte und sich der Ring der Rebellen um die Stadt immer enger zusammenzog. Zuletzt suchten sie Schutz in verlassenen Wohnungen. "Wir hatten alle Angst vor den Bomben", sagt Dao. Er glaube allerdings nicht, dass Gaddafi diese Angst geteilt habe. "Gaddafi war gestresst, ärgerlich, manchmal auch richtig wütend. Meistens war er aber nur traurig und verärgert." Die Zahl der loyalen Kämpfer, die von Muatassim angeführt wurden, schrumpfte von 350 auf 150, die meisten flohen.

Er glaubte, das libysche Volk liebte ihn immer noch

Gaddafis Flucht endete vergangenen Donnerstag mit seiner Ergreifung und seinem Tod. An dem Tag, an dem auch Sirte fiel, versuchte eine Wagenkolonne Sirte zu verlassen, dabei auch ein Toyota Land Cruiser mit Gaddafi und Dao an Bord. Der Konvoi wurde von einer Nato-Rakete getroffen, Gaddafi und Dao wurden verletzt. Gaddafi starb am Nachmittag unter bisher ungeklärten Umständen. Die libysche Übergangsregierung sagte nach wachsendem internationalen Druck zu, eine Untersuchung der Todesumstände zu veranlassen.

Gaddafis und Muatassims Leichen wurden vier Tage tiefgekühlt in Misrata aufgebahrt, bevor sie Montagabend zur Beerdigung abtransportiert wurden. "Er hat geglaubt, dass das libysche Volk ihn immer noch liebt, auch nachdem Tripolis bereits gefallen war", sagt Dao.

(apd)
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