Der Westen ist beunruhigt "Arabischer Frühling" nützt Islamisten

Düsseldorf · In Libyen soll nach dem Tod Gaddafis das islamische Recht der Scharia gelten. In Tunesien verbuchen die Islamisten bei der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung einen hohen Sieg. Welche Chancen hat die Demokratie?

Tunesien - der Tag des Umsturzes
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Zeitenwende in der islamischen Welt Nordafrikas. Doch niemand weiß so genau, wohin die Reise geht. Der Westen hofft auf die unumkehrbare Hinwendung zur Demokratie.

Die Bürger der Länder des "Arabischen Frühlings" erwarten eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Sie wollen Arbeit, eine Zukunft für ihre Kinder und ein Leben ohne Angst vor den bislang allmächtigen Diktatoren, die die Menschenrechte mit Füßen traten. Nun sind die Despoten hinweggefegt, unter großen Opfern der Aufständischen.

Was kommt jetzt? Demokratie oder neue Despotie?

Der Fall Libyen Nachdem am Wochenende der Übergangsrat in Libyen die Ära von Muammar al Gaddafi für beendet erklärt hatte, jubelten die Menschen in den Straßen von Tripolis bis Bengasi. Der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil, verkündete, im neuen Libyen werde das islamische Recht der Scharia Grundlage der Rechtsprechung werden. Das Banken- und Finanzwesen wird nach der Scharia organisiert, Zinsen sind demnach tabu.

Wie sich die Scharia auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau auswirkt, wie es um die Meinungsvielfalt im neuen Libyen bestellt sein wird und ob es eine echte Pluralität bei Parteien und Verbänden geben wird, ist offen. Das Land muss erst einmal Ruhe finden. Es müssen die Milizen entwaffnet und Militärgerät aus den Arsenalen der Gaddafi-Ära eingesammelt werden.

Viel wird davon abhängen, ob es gelingt, die Islamisten in das Machtgefüge eines neuen Libyen einzubinden. Sind sie bereit, in der Konkurrenz mit anderen politischen Gruppierungen die Macht zu teilen ?

Der Fall Tunesien Tunesien hat am Wochenende die erste freie Wahl abgehalten. Demokratisch an ihr war, dass alle wahlberechtigten Tunesier ihre Stimme abgeben konnten. Der Pionierstaat des "Arabischen Frühlings", in dem im Dezember 2010 die Aufbruchwelle Nordafrikas begann, steht nun vor einer großen Herausforderung.

Die Islamisten der Ennahda-Partei, einst verboten und verfolgt, haben einen überwältigenden Wahlsieg erzielt. Sie gelten als gemäßigte Islamisten, doch wie sie sich unter dem Einfluss ihres demokratischen Machtgewinns geben und ob sie eher religiös-autoritär handeln wollen, ist offen. Tunesien ist bisher ein eher säkularer Staat gewesen, der in hohem Maße vom Tourismus mit seinen freizügigen Ausprägungen lebte.

Die linksliberalen und eher säkularen Parteien sind ernüchtert. Das Kräfteverhältnis wird sich nun in der verfassunggebenden Versammlung niederschlagen. Sie wird innerhalb eines Jahres eine neue Verfassung ausarbeiten, die wohl den Stempel der Islamisten tragen wird.

Der Fall Ägypten Und Ägypten? Staatschef Hosni Mubarak war Anfang Februar zurückgetreten. Ein Militärrat verwaltet die Macht bis zu den ersten freien Wahlen. Doch die Menschen treibt es immer wieder auf die Straßen, weil sie eine Verschleppungstaktik der alten Kader wittern. Es kommt immer wieder zu Unruhen und vor allem zu blutigen Straßenschlachten mit den christlichen Kopten, die immerhin rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen.

In Ägypten ist die Moslembruderschaft gut organisiert. Sie wurde verfolgt, Tausende ihrer Anhänger und Kämpfer saßen unter Mubarak im Gefängnis. Die Gedanken der einflussreichen islamistischen Gemeinschaft haben sich nach Syrien, Jordanien und bis in die Palästinensergebiete ausgebreitet. Bei den anstehenden Wahlen können die Moslembrüder mit enormen Zulauf rechnen. Wie wird sich das auf den Zusammenhalt der ägyptischen Gesellschaft auswirken?

Der Westen ist beunruhigt Das Misstrauen im Ausland ist groß. Wie Spiegel Online berichtet, zeigten sich Diplomaten besorgt. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), habe nun die Wahlsieger in Tunesien an ihre Verpflichtungen für Demokratie, Rechtsstaat und die Wahrung der Menschenrechte erinnert.

Das Misstrauen ist nicht ungerechtfertigt, denn in Nordafrika ist seit Langem das Terrornetzwerk al Qaida aktiv. Dessen maghrebinischer Ableger hat sich aus der algerischen Terrororganisation Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf und lokalen Al-Qaida-Zellen gebildet. Es ist anzunehmen, dass sie Nordafrikas Trend zu Demokratie und Freiheit nicht ohne Widerstand hinnehmen werden.

Die algerische Regierung will ein Aufleben der strengen Islamisten verhindern. Mitglieder der verbotenen Islamischen Rettungsfront (FIS) dürfen sich nicht mehr politisch betätigen. Die Regierung macht die FIS, die 1991 bei demokratischen Wahlen kurz vor der Machtübernahme stand, für den zehnjährigen Bürgerkrieg mit mehr als 200 000 Toten verantwortlich. Das Militär hatte kurzerhand den zweiten Wahlgang abgesagt, die FIS verboten, die zu den Waffen griff. Welche Lehre ziehen heute die Aufbruchstaaten des "Arabischen Frühlings" für sich aus dem damaligen Desaster?

(RP)
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