Hamburger Tatort „Schattenleben“ Weiblich, wütend, wild

Hamburg · Der neue Hamburger Tatort „Schattenleben“ setzt neue Maßstäbe in Sachen Feminismus und Diversität. Vor allem aber erzählt er auf eindringliche Art eine beklemmende Geschichte von Liebe und Gewalt.

 Die Kommissare Julia Grosz (Franzsika Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) ermitteln in der linksautonomen Szene Hamburgs.

Die Kommissare Julia Grosz (Franzsika Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) ermitteln in der linksautonomen Szene Hamburgs.

Foto: dpa/O-Young Kwon

Bei einem Brandanschlag stirbt eine Frau, sie hinterlässt ihr Baby und ihren Mann, einen Polizisten. Alles sieht nach einem linksextremen Racheakt aus, denn derlei Anschläge gab es in der letzten Zeit häufiger, immer galten sie Polizeibeamten, gegen die interne Ermittlungen wegen unverhältnismäßiger Gewalt im Einsatz liefen. Ermittlungen, die stets eingestellt wurden. Die Kommissare Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) übernehmen den Fall, der sich als ziemlich heikel erweist: Nicht nur war die Vorgehensweise der Kollegen bei den Einsätzen in der linken Szene offenbar alles andere als vorschriftsmäßig – jemand hat auch noch Polizei-Interna weitergegeben.

Verdeckte Ermittlung

Und als wäre die Suche nach Verantwortlichen in den eigenen Reihen nicht schon schwierig genug, muss Falke bei der Arbeit auch noch weitgehend auf seine Kollegin verzichten, denn Julia Grosz hat gerade andere Prioritäten. Mit falscher Identität schleicht sie sich in der feministischen linksautonomen Szene Hamburgs ein, um Ela Erol (Elisabeth Hofmann) zu finden, die dort wiederum als verdeckte Ermittlerin im Einsatz war. Nach Jahren der Funkstille hatte sie Grosz kontaktiert und um Hilfe angefleht – nur wenig später verschwindet Erol spurlos. Falke deckt Grosz, während die auf eigene Faust nach der Kollegin sucht, mit der sie viel mehr verbindet als nur eine Freundschaft. Doch je mehr Grosz das Vertrauen der Frauen in der Szene gewinnt, desto mehr geraten ihr Wertesystem und ihre Gefühle aus den Fugen.

Frauen im Fokus

Auch wenn die Handlungsstränge irgendwann zusammenfinden – der Fokus dieses „Tatorts“ liegt klar auf Julia Grosz und den Frauen um sie herum. Dass das der Erwähnung wert ist, zeigt, wie ungewöhnlich ein solcher Plot immer noch ist. Genau wie die Tatsache, dass neben einem überwiegend weiblichen Schauspiel-Ensemble mit Regisseurin Mia Spengler, Producerin Sophia Ayissi, Kamerafrau Zamarin Wahdat und Drehbuchautorin Lena Fakler auch hinter der Kamera ein Frauen-Team am Werk war. Zufall? Von wegen. Ein Blick in die Pressemappe verrät, dass Regisseurin Spengler den „Inclusion Rider“ gefordert hat, eine Vertragsklausel, der zufolge Bevölkerungsgruppen, die in den Mainstreammedien unterrepräsentiert sind, zu einem entsprechenden Prozentsatz an der Produktion beteiligt sein müssen.

Ohne erhobenen Zeigefinger

Es ist davon auszugehen, dass allein dieser Umstand Widerspruch provoziert: Kaum tauchen im TV queere Menschen auf, wird gegendert oder Rassismus thematisiert, müssen sich die Macher*innen den Vorwurf gefallen lassen, Diversität mit dem Holzhammer durchsetzen zu wollen. Muss das sein? Hat das überhaupt etwas mit der Lebenswirklichkeit zu tun?

Um es kurz zu machen: Ja, es muss. Und: Ja, es hat. Erst recht, wenn man es so macht, wie Mia Spengler und ihr Team. Denn dass der Blick in die Pressemappe nötig ist, um zu erfahren, dass ein höheres Ziel hinter der Produktion steckte, zeigt, wie selbstverständlich es diesem Ensemble gelungen ist, einen Film zu machen, der unter die Haut geht. Einen, der im linksautonomen feministischen Milieu spielt und Geschlechterrollen verhandelt. Aber ohne Klischees, Moral aus der Vogelperspektive und erhobenen Zeigefinger.

Herausgekommen ist eine beklemmende Geschichte über den Verlust der Liebe und die Abgründe der Seele. Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist auch gut so.

„Tatort: Schattenleben“, Das Erste, So. 20.15 Uhr

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