Zwischen Tag und Nacht Der Zauber der blauen Stunde

Bonn · Wohl kaum eine Tageszeit ist so schön wie die, wenn am Himmel das Tagesblau über viele Schattierungen ins Nachtblau übergeht. Gerade laue Sommerabende eignen sich zum Bestaunen und Genießen dieses Phänomens.

 Abendhimmel über dem Rhein bei Bonn.

Abendhimmel über dem Rhein bei Bonn.

Foto: Krebs, Andreas (kan) Jana Bauch/Krebs, Andreas (kan) Jana Bauch (jaba)

Egal, ob man sie auf dem Balkon, im Garten oder im Park erlebt, ob in Gesellschaft oder allein – für viele Menschen hat die blaue Stunde einen ganz besonderen Reiz. Gerade laue Sommerabende eignen sich in diesen Tagen, diesem leisen Naturwunder zuzusehen. Wenn die Sonne an klaren, wolkenlosen Tagen hinter dem Horizont verschwunden ist, beginnt wenig später eine Sinfonie aus gefühlt tausenden Blau-Schattierungen. Mitunter dauert es noch fast zwei Stunden, bis auch der letzte helle Streifen am nördlichen Horizont erlischt und nur noch der Nachthimmel zu sehen ist.

Die typische blaue Färbung des Himmels entstehe, „wenn sich die Sonne zwischen 4 und 8 Grad – also ganz knapp unter dem Horizont – befindet“, erläutert ARD-Wettermoderatorin Claudia Kleinert. Je weiter die Sonne unterhalb des Horizonts wandert, desto mehr scheint der Himmel in magisches, tiefes Blau getaucht. Die Farbintensität habe etwas mit der Streuung des Lichts zu tun: Durch die sogenannte Rayleigh-Streuung werde das Sonnenlicht in verschiedene Farbspektren gefiltert, „dadurch nehmen wir den Himmel überhaupt erst als blau wahr. Und wenn die Sonne dann untergeht und in einem bestimmten, schrägen Winkel strahlt, kommt das Blau besonders gut raus.“

Ein stimmungsvolles Licht, das nicht nur Fotografenherzen höherschlagen lässt. Auch Kunst und Literatur wurden davon inspiriert. So zeugt Gottfried Benns melancholisches Liebesgedicht „Blaue Stunde“ von der besonderen Stimmung am Übergang zur Nacht, der die Wehmut des Abschieds aufkommen und die Endlichkeit der Zeit erahnen lässt.

Den Augenblick genießen, das Leben feiern – für viele ein Grund, diese besondere Stimmung mit Freunden oder Familie zu genießen. Kulinarische Anregungen dazu gibt Stevan Pauls Kochbuch „Blaue Stunde. Rezepte, die den Abend feiern“. Angeregt von der Beobachtung, dass um diese Zeit Menschen in aller Welt in Bars und Restaurants zusammenkommen und entspannen, hat er ein „Fernweh-Kochbuch“ geschrieben.

Und vielleicht läuft im Hintergrund dezente Klaviermusik von Federico Albanese. Der italienische Musiker hat sich von der blauen Stunde zu einer eigenen CD inspirieren lassen. Darin greift er das Verschwommene, Mystische und Magische dieser besonderen Stimmung zwischen Tag und Nacht auf. Albanese versteht die blaue Stunde als „die Mitte von zwei unterschiedlichen, gegensätzlichen Universen“, als „definitiv etwas, das zwischen zwei Zuständen liegt“. Denn es sei „nicht dunkel, nicht hell, es ist nicht Tag, es ist nicht Nacht – es ist definitiv eine Art undefinierter Schwebezustand“. In diesen Momenten sei alles vage – Erinnerungen, Träume, Erfahrungen. Mal mit Piano- oder Celloklängen, mal durch das Reiben am Rand eines Glases hat er die Übergänge vertont.

So sehr die blaue Stunde Menschen auch anspricht – einen Fachbegriff für sie gibt es erstaunlicherweise nicht. Klar sagen lässt sich aber, wann die blaue Stunde geschlagen hat – dafür bietet die Website timeanddate sogar einen eigenen Blaue-Stunden-Rechner, mit dem sich rund um das Jahr für den eigenen Wohnort der Beginn des Naturphänomens ermitteln lässt.

Die blaue Stunde kann es im Prinzip an jedem Tag des Jahres geben. Aber im ungemütlich-kalten Winter fällt das blaue Himmelsglühen in den späteren Nachmittag – so mancher ist noch bei der Arbeit oder auf dem Heimweg, der mit Einkaufen und anderen Erledigungen gefüllt ist und wenig Muße zur Himmelsbetrachtung bietet. Zudem fällt die blaue Stunde dann mit rund 15 Minuten viel kürzer aus als in den warmen Monaten, rechnet Kleinert vor. Im Sommer dauere sie etwa 40 bis 50 Minuten: „Deshalb kann man die blaue Stunde im Sommer länger und besser genießen.“

Der Tipp der Wetterexpertin für den perfekten Ort dafür: „Am Meer. Oder auf einem Berg mit viel freier Sicht oder einfach auf einem Feld.“ Kleinert freut sich schon auf ihren kommenden Urlaub am Meer und den Blick von einer großen Düne. Wenn dort die blaue Stunde einsetzt, „dann ist es einfach zum Niederknien und Heulen, weil es so schön ist“.

(kna)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort