Theologie Böser Islam, guter Islam - eine Analyse

Düsseldorf · Spätestens seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 steht der Islam unter scharfer Beobachtung. Ist er eine Religion, in der die Gewalt schon angelegt ist? Nein, aber seine Gesichter sind zahlreich.

Jede Religion ist so gut wie die Menschen, die sie ausüben. Das klingt einfach. Doch da die Menschen nun einmal verschieden sind, finden sich auch unter dem Dach ein und derselben Religion Anhänger unterschiedlicher Deutungen ihres Glaubens. Das gilt für das Christentum und erst recht für den Islam.

Uns im Westen erschien der Islam lange Zeit als Einheit. Doch der Schein trog, und das war vor allem auf den Mangel an detaillierten Kenntnissen und an Erfahrung im Umgang mit Muslimen zurückzuführen. Schon in den 80er Jahren bot sich Touristen in der Türkei ein doppeltes Bild des Islam: einerseits die ältere Generation, die streng die Gesetze des Korans befolgte, andererseits die Jungen, die es damit offenbar nicht mehr so genau nahmen: Kultur-Muslime sozusagen. Sie fühlten sich dem Islam noch zugehörig, unterwarfen sich auch dem Fastenmonat Ramadan, sehnten sich aber nach der Freiheit und dem Fortschritt des Westens.

Auf das Leben insgesamt schauen

Damals ahnte man noch kaum, dass es unter den weltweit 1,6 Milliarden Anhängern des Islam auch auf der finsteren Seite des Glaubensspektrums starke Kräfte gab. Manchem öffneten erst die Terroranschläge des 11. September 2001 mit der Zerstörung des World Trade Center in New York die Augen dafür.

Seitdem steht der Islam unter scharfer Beobachtung. Ist in einer Religion, aus der solche Verbrechen erwachsen, die Gewalt nicht schon angelegt? Verstoßen nicht auch bei uns Muslime gegen die Gebote der Menschlichkeit? Zwangsheiraten, Ehrenmorde, erzwungene Vollverschleierung von Frauen - das gibt es auch in Deutschland.

Das ist bedauerlich, ja skandalös, doch sollte man bei der Betrachtung der Lage einen Schritt zurücktreten und auf das Leben der Muslime insgesamt schauen. Vom Gemüsehändler bis zum Hochschullehrer - die allermeisten Muslime in Deutschland sind integriert. Sie sind längst gute Nachbarn, liebe Kollegen geworden, und man möchte sie nicht missen. Zwei Generationen sind bereits in die Demokratie geboren worden und kennen die Bedeutung von Toleranz.

In den klassischen Ländern des Islam dagegen gelten noch die alten, voraufklärerischen Gesetze. Mit ihnen machen die Muslime einander das Leben schwer. Angehörige einzelner Richtungen bekämpfen Angehörige anderer Richtungen ihres Glaubens, auch anderer Ethnien, und alle berufen sich auf den Koran.

Die zehn wichtigsten Strömungen im Islam
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Die zehn wichtigsten Strömungen im Islam

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Foto: Julian Stratenschulte

Der Koran stellt nach islamischem Glauben das Wort Gottes dar, dem Folge zu leisten ist. Er ist die Hauptquelle des islamischen Gesetzes, der Scharia. Während das Christentum den Prozess der Aufklärung, also der Auslegung der Bibel an die Welt der Neuzeit, längst durchlaufen hat, besteht der Islam im Wesentlichen darauf, dass seine historischen Schriften bis heute im Wortsinn gültig sind. Das erleichtert es radikalen Gruppen, den Koran für ihre gewaltsamen Ziele zu vereinnahmen.

Gegen die Gefahren eines formalisierten Religionsverständnisses haben vor allem asketische und mystische Strömungen im Islam immer wieder dessen Spiritualität herausgestellt. Zu wichtigen Normen wurden auf diese Weise Gerechtigkeit, Beharrlichkeit und Geduld, Freigebigkeit und Enthaltsamkeit, Gehorsam und Dankbarkeit, Solidarität und Aufrichtigkeit.

Nichts davon findet sich im sogenannten Gottesstaat der Terrormiliz IS. Sie bildet den anderen Pol des Islam, die Extremform des schlechten Islam. Der schreckt bei seinen terroristischen Aktionen nicht davor zurück, selbst Glaubensbrüder in den Tod zu reißen. Solch radikale "Muslime" haben auch den Dschihad in die Nähe der religiösen Grundpflichten gebracht: den "heiligen Krieg", den der Koran aber gar nicht heilig nennt und auch nicht auf Schlachten bezieht. Erst nach Mohammeds Tod wurde "Dschihad" zu einer Entsprechung der Kreuzzüge auf christlicher Seite stilisiert.

Die fünf Säulen

Dagegen stützt sich der Islam bis heute auf "fünf Säulen", kultische Pflichten, die jedem Muslim obliegen: das Aussprechen des Glaubenszeugnisses "Es gibt keine Gottheit außer Gott (Allah), und Mohammed ist der Gesandte Gottes", das fünfmal täglich zu verrichtende Ritualgebet, die Pflichtabgabe oder Almosensteuer, das Fasten im Ramadan und die Wallfahrt nach Mekka. Speisenormen verbieten zudem den Genuss von Blut, Aas und Schweinefleisch und von allem, was einen Rausch hervorruft. Verboten sind auch Glücksspiel und außerehelicher Sexualverkehr.

Wie viele Muslime sich strikt daran halten und wie viele sich nur mehr dem Kulturbereich des Islam zugehörig fühlen, darüber gibt es keine Angaben. Muslime zahlen keine Religionssteuer, sie unterstützen ihre Moscheen direkt. Und es gibt keinen Papst, sondern eine Vielzahl von Gruppierungen, die jede für sich sprechen. Der in den Medien oft zitierte Zentralrat der Muslime in Deutschland vertritt nur ein bis zwei Prozent der hiesigen Muslime.

Der Islam äußert sich hierzulande wie in der Welt in vielen religiösen und ethnischen Sprachen. Eine gemeinsame Adresse gibt es nicht. Selbst die Al-Azhar-Universität in Kairo, eine der ältesten noch bestehenden theologischen Bildungsinstitutionen der islamischen Welt und nach eigenem Verständnis höchste Autorität im islamischen Recht für die sunnitischen Rechtsschulen, wird in ihrem Anspruch außerhalb Ägyptens vielfach nicht anerkannt.

Hintergrund der Lebensführung

Ist der Islam mit seiner Mehrheitsrichtung Sunnitentum und seiner Minderheit der Schiiten sowie zahlreichen Ableitungen daraus womöglich bloß eine virtuelle Welt? Nein, für viele ist er die einzig gültige Religion, verbindlicher als das mit ihm verwandte Christentum in seiner heutigen Ausprägung. Für andere bietet er nur noch den kulturell-zivilisatorischen Hintergrund ihrer Lebensführung.

Für die radikalen Gruppierungen ist der Islam das Fundament, auf dem sie ihren Totalitarismus errichten und als höchste Vollendung aller Religion preisen. Sie sind nicht die Mehrheit, zum Glück, aber alle Welt blickt auf sie. Und die AfD nutzt das für ihre Zwecke und rückt den Islam pauschal in die Nähe des Islamismus. Das aber ist eine Beleidigung von Millionen Muslimen, die aufrecht durchs Leben gehen: unsere Nachbarn, unsere Kollegen, ja unsere Schwiegersöhne und -töchter.

(RP)
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