Laufzeitverlängerung auf Eis Merkel: Alt-AKW auch abschalten

Berlin (RPO). Deutschland setzt die beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke vorübergehend aus. Angesichts der Reaktorkatastrophe in Japan werde es ein drei Monate dauerndes Moratorium geben, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in Berlin an. Für die Opposition ist das nicht genug. SPD, Linke und Grüne forderten eine komplette Abkehr von der Atomenergie in Deutschland.

Atomkraftwerke in Deutschland
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Die Sicherheit aller deutschen Atomkraftwerke müsse rückhaltlos und vorbehaltlos überprüft werden. "Alles gehört auf den Prüfstand" und es gebe "keine Tabus", sagte Merkel. Es gelte der Grundsatz: "Im Zweifel für die Sicherheit."

Sofortiges Abschalten möglich

Die CDU-Chefin hält auch ein sofortiges Abschalten von Kernkraftwerken in Deutschland für möglich. Wenn Meiler nach dem früheren Atomkonsens von Rot-Grün keine Reststrommenge mehr hätten, könnten diese sofort abgeschaltet werden. Zuvor sei aber eine Rücksprache mit den Betreibern erforderlich, fügte Merkel hinzu.

"Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die bisherige, unbestrittene Sicherheit unserer kerntechnischen Anlagen zum Maßstab auch des künftigen Handelns machen, ohne dass wir in Folge der jüngsten Ereignisse einmal inne halten", sagte Merkel zur Begründung.

Die Ereignisse in Japan lehrten, dass etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden könne.

Die Regierung wolle während des Moratoriums ausloten, wie der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien forciert werden könne. Dabei gehe es um die Akzeptanz für einen solchen beschleunigten Wandel. Dies sei die "einzig redliche Antwort" auf die aktuellen Herausforderungen.

Risiken neu analysieren

Das Moratorium sei keine Vertagung, ergänzte FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle, sondern die Dinge hätten sich geändert. Auch wenn in Deutschland kein Erdbeben und keine Flutwelle wie in Japan zu erwarten seien, müssten die hiesigen Risiken neu analysiert und bewertet werden. Klar sei aber auch, dass weder die Sicherheit der Bürger noch der Energieversorgung beeinträchtigt würden.

Noch vor der Sommerpause will die Bundesregierung ihre Schlussfolgerungen aus dem Atom-Moratorium vorlegen. Momentan gebe es keine Gesetzesänderung, sondern erst Gespräche mit den Kernkraftwerksbetreibern sowie den Ländern mit Atomkraftwerken, sagte Merkel. Noch in dieser Woche wolle sie eine Regierungserklärung im Bundestag abgeben.

Druck aus der Opposition

Unterdessen macht die Opposition weiter Druck. SPD, Linke und Grüne forderten am Montag eine komplette Abkehr von der Atomenergie in Deutschland. Die von der Koalition geplante Aussetzung der Laufzeitverlängerung für Atommeiler kritisierten sie als unzureichend. Die Oppositionsfraktionen wollen ihre Forderung nun im Bundestag zur Debatte stellen und ein Aus für die ältesten Kernkraftwerke durchsetzen.

Moratorium als "Trick"

SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete das Moratorium als leicht durchschaubaren Trick. Damit wolle Schwarz-Gelb sich lediglich über die anstehenden Landtagswahlen hinweg retten. Dies werde man der Regierung aber nicht durchgehen lassen.

Die Sozialdemokraten fordern eine Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegsgesetz. Gabriel kündigte an, die SPD werde dies Gesetz im Bundestag erneut zur namentlichen Abstimmung stellen. Das gleiche gelte für das von ihm und seinem Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) als Bundesumweltminister erarbeitete atomtechnische Regelwerk.

In einer dritten namentlichen Abstimmung will die SPD zudem die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke fordern, die nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert seien. Dann habe die Regierungskoalition drei Mal die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit ihrer Beteuerungen in Sachen atomarer Sicherheit im Bundestag unter Beweis zu stellen, sagte Gabriel.

Grüne wollen Stilllegung der ältesten Meiler

Auch die Grünen wollen das Thema im Parlament zur Debatte stellen. Sie fordern eine sofortige Stilllegung der sieben ältesten Atommeiler in Deutschland. Einen solchen Antrag wollen die Grünen am Donnerstag im Bundestag einbringen, wie Fraktionschef Trittin ankündigte. Die sieben ältesten AKW sind Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1. Auch das Kernkraftwerk Krümmel müsste wegen der häufigen Störfälle nach dem Willen der Grünen sofort vom Netz.

Die Linke forderte die sofortige Abschaltung aller 17 deutschen Atomkraftwerke. Außerdem müsse der Verzicht auf Kernenergie sowie ein Exportverbot von Nukleartechnik im Grundgesetz verankert werden, sagte Linke-Chef Klaus Ernst in Berlin. Auch seine Partei will im Bundestag eine Abstimmung über einen echten Ausstieg aus der Atomenergie.

Die Atompolitik der Bundesregierung und deren Reaktion auf das Reaktorunglück kritisierte Ernst scharf. Merkel habe die Lage nicht begriffen, wenn sie weiter an der Kernenergie festhalten wolle. "Ihre Reaktionen waren chaotisch und nicht verständlich", sagte Ernst, "wenn die Bundeskanzlerin jetzt über die Aussetzung der Laufzeitverlängerungen nachdenkt, kommt sie ein wenig zu spät."

(dapd/KNA/rm/rtr)
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