"Touristenklasse-Syndrom": Airlines raten zu Bewegung an Bord

Frankfurt/Main (dpa). Wenn die Tragflächen durch die Wolken gleiten, denken viele Passagiere schon an Urlaub und Entspannung - aber kaum an ihre Adern. Der Tod vor allem einer 28 Jahre alten Britin im vergangenen Oktober nach einem 20-Stunden-Trip von Sydney nach London hat Fernreisende jedoch aufgeschreckt: Gibt es ein gefährliches "Touristenklasse-Syndrom"? Mediziner warnen, beengtes Dauersitzen könne zu Blutgerinnseln in den Venen der Beine führen. Ob in Flugzeugen und vor allem in preiswerten Sitzreihen tatsächlich ein größeres Risiko besteht, ist allerdings umstritten. Mehrere Airlines gehen in die Offensive und raten zu Bewegung an Bord.

Auf Merkblättern gibt etwa British Airways ihren Ticket-Käufern Gesundheitstipps. Dazu kommen Gymnastikprogramme im bordeigenen Audio- und Videokanal. Auch die Passagiere in Condor-Ferienfliegern sollen künftig zu Fitness im Flugzeugsitz animiert werden - mit Filmen, wie sie bei der Lufthansa oder der französischen Air France schon seit Jahren auf Langstreckenflügen zu sehen sind. "Es geht um leichte Übungen zum An- und Entspannen der Muskeln", erklärt eine Lufthansa-Sprecherin.

Bisher sei kein Fall von Touristenklasse-Syndrom bekannt, heißt es übereinstimmend bei diesen Fluggesellschaften und in der Klinik am größten Airport in Frankfurt am Main. Panik oder große Verunsicherung unter den Reisenden sei nicht zu beobachten. In Großbritannien und Australien sehen sich Airlines dagegen Klage-Drohungen auf Schadenersatz von hunderten Menschen ausgesetzt, die auf Langstreckenflügen eine Thrombose bekommen haben wollen.

"Wir schnallen uns beim Autofahren an, aber im Urlaub wollen viele ihren Spaß haben und verdrängen Gefahren für die Gesundheit", sagt Internist Gerhard Scholz vom privaten Institut für Reisemedizin in Offenbach. Thrombose bedroht seien vor allem Raucher, ältere Menschen, Übergewichtige, frisch Operierte, Frauen, die die Pille nehmen, und Menschen mit Krampfadern. Gefährdete Patienten sollten auf langen Reisen Kompressionsstrümpfe tragen oder sich vorher gerinnungshemmende Medikamente spritzen.

Es müssten ungünstige Faktoren zusammenkommen, damit sich eine Thrombose bilde, erläutert der Mediziner. Durch langes unbewegtes Sitzen und geringerem Blutfluss steige die Gefahr von Pfropfenbildung und lebensbedrohlichen Durchblutungsstörungen. Bewegung gilt Medizinern als gute Vorbeugung gegen Thrombose. Auch auf Mittelplätzen in der Touristenklasse sollten Passagiere regelmäßig die Füße kreisen lassen. Wichtig sei, viel zu trinken, um das Blut flüssig zu halten, sagt Scholz. Auf dem Flug von Frankfurt nach New York verliert der Körper etwa einen Liter Flüssigkeit.

Die Sorge vor einem "Touristenklasse-Syndrom" hat auch Forderungen nach mehr Beinfreiheit laut werden lassen. Die Airlines können die Sesselabstände selbst festlegen, müssen sich laut Luftfahrt- Bundesamt aber an Mindestvorgaben halten. In der Economy Class haben die Fluggäste meist rund 80 Zentimeter Platz zwischen den Sitzen. Geräumiger hat es, wer tiefer in die Tasche greift. Ein First-Class- Fluggast der Lufthansa hat von Frankfurt nach Bangkok sogar 2,34 Meter Sitzabstand - Preis: rund 13 300 Mark hin und zurück.

Bereits im vergangenen Sommer haben europäische Luftfahrtbehörden eine Studie in Auftrag gegeben, die mehr Platz für alle Passagiere bringen könnte. Der Grund: Der durchschnittliche Europäer wird Prognosen zufolge immer größer und schwerer.

(RPO Archiv)
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