Utoya – viel mehr als eine Insel

Berlin/Utoya Utoya, der paradiesische Flecken im Tyrifjord, sei das Paradies seiner Jugend gewesen, sagte der norwegische Regierungschef Jens Stoltenberg nach dem Angriff auf das sozialdemokratische Jugendlager auf der Insel. Dieses Paradies, fügte Stoltenberg hinzu, sei jetzt zur Hölle geworden. Tatsächlich ist die Insel Utoya viel mehr, als ihre 330 Meter Breite und 520 Meter Länge vermuten lassen: das emotionale Bindeglied für ganze Politiker-Generationen, die Norwegen geprägt haben. Wer in der norwegischen Sozialdemokratie etwas zu sagen hat, der war in seiner Jugend regelmäßiger Gast dort. Die Insel ist sogar im Besitz der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei.

Norwegen, das ist für den Düsseldorfer SPD-Politiker Michael Müller ein "unglaublich großes Land mit wenigen Menschen, von denen sich viele gut kennen – sozusagen eine Großfamilie". Und Utoya ist damit eine einzigartige Mischung aus Familienrat, Familienausflug und Familienbildungswerk. "Es ist eine tolle Gegend mit einer großartigen Mischung aus Wäldern und Wasser", erinnert sich Müller, der als SPD-Nachwuchspolitiker mehrfach die norwegischen Genossen besuchte – und deshalb von der Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF), den norwegischen "Jusos", vor Jahrzehnten auch einmal nach Utoya eingeladen wurde.

Von 1972 bis 1978 war Müller (heute 63) stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten und zugleich für die internationalen Kontakte der SPD-Jugend zuständig. Das norwegische Modell habe eine große Zugkraft auf die damaligen Sozialdemokraten ausgelöst, erinnert er sich. Schließlich stand man in der spannenden Herausforderung, in einer sozialliberalen Koalition die Politik zu gestalten – und die Genossen in Oslo zeigten in einer "überragenden Verlässlichkeit" (Müller), wie man in puncto sozialer und liberaler Politik vorankommen könne.

"Staatstragend" seien sie schon damals auch auf Utoya gewesen, erinnert sich Müller. Er selbst verzichtete auf eine Übernachtung im Zeltlager, weil er kurz zuvor bei einem anderen Jugend-Camp in Deutschland krank geworden war. Doch für den norwegischen "Juso" hat das Sommerlager auf Utoya Kultstatus. Mehr als 8000 Mitglieder zählt die AUF und ist damit vier Mal größer als jeder der konservativen Konkurrenten.

Es geht um Ferien, aber auch um Karrieren. Das Familiengefühl tragen diejenigen, die bald Verantwortung in Partei und Staat übernehmen, von Utoya aus durchs Leben. Es wird nicht nur diskutiert, sondern auch gefeiert und geflirtet. Utoya – ein kleines Paradies, aus dem immer wieder die politische Zukunft Norwegens hervorging. Die wollte der verblendete Attentäter zerstören.

(RP)
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