Schwalmtal „Ich freue mich auf vieles Neue“

Schwalmtal · Pfarrer Thorsten Aymanns wird am 1. Juli verabschiedet. Ein Gespräch über die Herausforderungen der Zukunft

 Pfarrer Thorsten Aymanns schließt die Tür des Pfarrhauses an der Niederstraße in Waldniel bald hinter sich zu.

Pfarrer Thorsten Aymanns schließt die Tür des Pfarrhauses an der Niederstraße in Waldniel bald hinter sich zu.

Foto: Knappe, Jörg (jkn)

Die Gläubigen der Pfarrei St. Matthias Schwalmtal verabschieden sich am Sonntag, 1. Juli, von ihrem Pfarrer Thorsten Aymanns, der 16 Jahre in Schwalmtal tätig war. Um 15 Uhr gibt es einen Abschiedsgottesdienst in der Waldnieler Pfarrkirche St. Michael. Der 47-Jährige wird künftig in der Lenkungsgruppe des Bistums Aachen den Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“ begleiten, den Bischof Helmut Dieser in seiner Silvesterpredigt angestoßen hat. Im Interview spricht Aymanns über die Veränderungen in der Kirche und die Herausforderungen der Zukunft.

Wollten Sie als junger Mann die Kirche verändern?

Thorsten Aymanns Als ich Theologie studierte, kam das Gefühl auf: Das ist nicht alles so, wie du es gern hättest. Aber das ist ja überall so, dass man andere Vorstellungen hat als der Chef oder die Leitung. Das hat sich nicht geändert. Zu überlegen, was man besser machen kann, macht gute Arbeit aus.

Hat sich Ihre Arbeit in den 16 Jahren in Schwalmtal verändert?

Aymanns Es ist immer unpersönlicher geworden. Ich muss immer mehr über andere meinen Dienst tun. Ich fliege praktisch zur Messe ein und sehe danach zu, dass ich pünktlich zur nächsten Messe komme. Da muss man sich zwingen, nicht im Gottesdienst auf die Uhr zu sehen. Das ist zu viel, um meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden.

In vielen Dörfern gibt es keinen eigenen Pfarrer mehr. Statt Messen gibt es Wortgottesdienste, für die Beerdigung kommt kein Priester. Das sind Veränderungen, die vielen Menschen Sorgen bereiten.

Aymanns Wir müssen Kirche auch aufgrund des Priestermangels neu denken, aber nicht nur deshalb. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass es künftig nicht mehr alles in jedem Ort geben wird. Und dass es manches vielleicht auch gar nicht mehr geben wird. Dieser Gedanke ist schmerzhaft, aber das liegt auch daran, dass wir stark auf den Pastor ausgerichtet sind. Wer getauft und gefirmt ist, denkt oft, er braucht in der Kirche nichts zu machen, der Priester macht das schon. Dabei ist zum Beispiel die Sorge um die Kranken die Aufgabe eines jeden Christen. Natürlich mache ich als Priester gern Krankenbesuche. Aber das kann auch jeder andere Christ machen, dafür braucht man keinen Priester. Jesus hat sich um einen Kranken gekümmert und den Leuten gesagt: ,Macht es wie ich!’

Alle Menschen im Bistum Aachen sind aufgerufen, sich am Prozess „Heute bei dir“ zu beteiligen. Glauben Sie, dass dieser Mitmach-Prozess der Kirche mehr Mitglieder beschert?

Aymanns Ich glaube nicht, dass die katholische Kirche jemals wieder Volkskirche wird. Wir haben es mit vielen Menschen zu tun, die nicht mehr kirchlich sozialisiert sind. Wenn sie uns begegnen, begegnen sie einer für sie relativ fremden Welt. Uns muss bewusst sein, dass wir nur ein Angebot unter vielen sind, dass wir begutachtet, kritisiert werden. Es ist für viele nicht mehr selbstverständlich zu sagen: ,Ich bin Christ.’ Denn wenn ich das sage, setze ich mein Leben ja auch ein Stückweit auf diese Karte. Viele überlegen sich das.

Wie muss sich Kirche verändern?

Aymanns Das wissen wir nicht. Um mit einem Bild zu sprechen: Wir haben lange in einem pompösen Schloss gelebt. Jetzt bröckelt der Putz, die Tapete kommt runter. Das Schloss ist marode, wir müssen ausziehen. Wir sind auf Wohnungssuche und wissen nicht, wohin uns der Weg führt. Das ist für alle ein großes Suchen. Da kommen viele verschiedene Ideen auf. Ein Pastor hat gesagt, aus ,Heute bei dir’ mache er ,Heute beim Bier’ – er geht in die Kneipen, um dort den Menschen zuzuhören.

Wie oft haben Sie in den vergangenen Monaten gedacht: Gott sei Dank, in Aachen höre ich nichts mehr vom Kies in Lüttelforst?

Aymanns In meiner Zeit in Schwalmtal hat es zwei für mich sehr belastende Situationen gegeben: die Schließung des Krankenhauses und der Kies-Streit in Lüttelforst. Die Krankenhaus-Schließung hat mich belastet, weil ich mich fachlich überfordert fühlte, für die Menschen nicht kompetent da sein konnte. Ich bin nicht Priester geworden, um 200 Leuten zu kündigen, sondern um diejenigen zu trösten, die gekündigt werden. Lüttelforst war anders, da bin ich als Gegner wahrgenommen worden. Das war eine existenzielle Erfahrung für mich. Ich habe in dieser Situation aber auch viel Hilfe und Rückendeckung erfahren und mich in einen Coaching-Prozess begeben, der mir jetzt zugute kommt.

Was nehmen Sie mit aus Schwalmtal?

Aymanns Viele gute Erfahrungen. Ich habe erfahren, dass ich in vielen schwierigen Situationen von Menschen getragen und unterstützt worden bin. Diese Zeit in Schwalmtal war eine gute Zeit in meinem Leben. Jetzt freue ich mich auf vieles Neue. Ich nehme für mich aber auch mit, dass ich so nicht mehr Priester sein will. Ich möchte kein Priester mehr sein, der verantwortlich für diesen mittelständischen Betrieb ist. Jeder hat sein Charisma, sein Talent – und das Talent eines Priesters ist vielleicht nicht unbedingt Lohnbuchhaltung.

Und was packen Sie konkret ein?

Aymanns Mein Messgewand zum Beispiel, und sonst alles mögliche: Kleidung, Geschirr, Bücher. Grundsätzlich versuche ich, beim Packen 50 Prozent von allem hier zu lassen. Das ist sehr schwierig. Ich habe das Gefühl, ich sortiere zu wenig aus, weil ich mit vielen Dingen etwas Emotionales verbinde.

Brauchen Sie das Messgewand denn noch, wenn Sie in Aachen sind?

Aymanns Ja, ich werde dort sicherlich nicht weniger Gottesdienste feiern, beerdigen oder predigen als hier. Sonst würde ich das auch nicht machen. Ich brauche den Kontakt zu den Menschen.

(biro)
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