Solingen WM-Halbfinale macht die Nacht zum Tag

Solingen · Das Halbfinale zwischen Deutschland und Brasilien hatte viel zu bieten - eine Rundfahrt durch Solingen während des Spiels aber auch: Von Fans, die dem Regen trotzten, bis zu Beifahrern, die beim Autokorso Kopf und Kragen riskierten.

 Wie nach jedem Deutschland-Spiel pilgerten vor allem die Besucher des Public Viewings im Theater und Konzerthaus zur gesperrten Kreuzung Konrad-Adenauer-Straße / Mummstraße. Im Vergleich zu den vorigen Partien ging es vorgestern Abend ruhiger in der Innenstadt zu.

Wie nach jedem Deutschland-Spiel pilgerten vor allem die Besucher des Public Viewings im Theater und Konzerthaus zur gesperrten Kreuzung Konrad-Adenauer-Straße / Mummstraße. Im Vergleich zu den vorigen Partien ging es vorgestern Abend ruhiger in der Innenstadt zu.

Foto: Radtke

Die Zahl der Personen, die um diese Uhrzeit am Graf-Wilhelm-Platz an den Haltestellen stehen, ist übersichtlich. An anderen Wochentagen herrscht hier um 22 Uhr zwar auch kein reges Treiben, dass aber lediglich eine Frau und zwei Männer in den Bus der Linie 682 in Richtung Wald einsteigen, ist zweifelsohne dem Anpfiff des Halbfinals bei der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Brasilien geschuldet.

 Bei so einem Ereignis dürfen auch die kleinsten Fußballfans lange aufbleiben und mitfeiern.

Bei so einem Ereignis dürfen auch die kleinsten Fußballfans lange aufbleiben und mitfeiern.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Einer der beiden Männer entpuppt sich als Busfahrer, der seinen Kollegen am Steuer ablöst. "Ich bin ohnehin nicht der große Fußballfan", gesteht Thomas Ohliger. "Selbst wenn. Ich hätte versuchen können, den Dienst zu tauschen. Aber wer will denn an so einem Abend freiwillig übernehmen ?" Bereits während der Achtelfinal-Partie gegen Algerien hatte Ohliger einen Geisterbus durch Solingen gesteuert. "Wir haben einen Dienstplan, und der steht fest. So ist halt der Beruf." Einen Treffer hat Thomas Ohliger trotzdem nicht verpasst, weil die Leitstelle über Funk die Zwischenstände durchgegeben hat.

 In einem umfunktionierten Werkzeug- und Abstellraum hat Familie Fischer in Ohligs für Freunde, Familie und Nachbarn ein WM-Studio eingerichtet.

In einem umfunktionierten Werkzeug- und Abstellraum hat Familie Fischer in Ohligs für Freunde, Familie und Nachbarn ein WM-Studio eingerichtet.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Wenige Meter entfernt sitzt Vedad Akca in seinem Taxi und schaut auf den Bildschirm eines am Lenker befestigten Tablets. Fußball per Livestream ? Dafür reicht die Bandbreite des Internets nicht. Er vertreibt sich das ewige Warten auf einen Fahrgast mit einer Spiele-App, im Radio aber läuft leise die Live-Übertragung aus Belo Horizonte. "Ich hoffe, dass bald jemand kommt. Dann kann ich Pause machen und irgendwo etwas vom Spiel sehen." Akcas Schicht geht bis 1 Uhr. Eine Verlängerung würde ihm mögliche Einnahmen nehmen. "Das wäre mir egal. Hauptsache, Deutschland kommt weiter."

 In der "Taverne zum Griechen" saß Betreiber Christos Michos alleine vorm Fernseher - und ärgerte sich.

In der "Taverne zum Griechen" saß Betreiber Christos Michos alleine vorm Fernseher - und ärgerte sich.

Foto: Radtke, Guido (gra)
Düsseldorf: Fans jubeln beim Public Viewing im Quartier Bohème
18 Bilder

Düsseldorf: Fans jubeln beim Public Viewing in den Clubs

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Der abendliche Spaziergang im Dauerregen führt zurück zum eigenen Auto. Am Kreisverkehr vor der Stadt-Sparkasse wird es plötzlich unruhig. Nicht auf der Straße, sondern in den umliegenden Häusern. Trillerpfeifen von links, Jubel und Tröten von vorne. So viele Brasilianer auf einem Fleck kann es hier nicht geben, die sich über ein Tor freuen würden. Wer wohl für Deutschland zur Führung getroffen hat ? Es ist gerade erst 22.12 Uhr.

 Im Birkenweiher war für Hartgesottene mit einem Pavillon Open-Air-Atmosphäre geschaffen worden.

Im Birkenweiher war für Hartgesottene mit einem Pavillon Open-Air-Atmosphäre geschaffen worden.

Foto: Radtke, Guido (gra)
Freude über Finale: Autokorso und Party in Düsseldorf
9 Bilder

Freude über Finale: Autokorso und Party in Düsseldorf

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Im Biergarten des Birkenweihers ist es dunkel. Dort, wo bislang alle deutschen Spiele unter freiem Himmel übertragen wurden. Auf der Freifläche direkt vor dem Lokal gibt es fünf Hartgesottene, die Wind und Wetter trotzen. Birkenweiher-Chef Miro Jelic hat mit einem Pavillon improvisiert, um die Open-Air-Atmosphäre zu erhalten. "Ich gucke alle deutschen Spiele draußen - also auch heute", sagt Thomas Rauhaus, ohne seinen Blick vom Fernseher zu lösen. Er hat gut daran getan, sonst hätte er Miroslav Kloses 2:0 erst in der Wiederholung gesehen. An die Fortführung des Gesprächs ist in den folgenden Minuten nicht zu denken angesichts des Dauerjubels über die weiteren Treffer, die im gefühlten Minutentakt fallen. "Wie ? Noch eins ? Ich dachte, das wäre eine Wiederholung." Wie alle drumherum kann Thomas Rauhaus es nicht glauben, dass das Halbfinale nach 30 Minuten entschieden ist.

 Taxifahrer Venad Akca wartete nach dem Anpfiff lange Zeit vergeblich auf einen Fahrgast.

Taxifahrer Venad Akca wartete nach dem Anpfiff lange Zeit vergeblich auf einen Fahrgast.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Auf der Goerdelerstraße und der Konrad-Adenauer-Straße sind ganz wenige Fahrzeuge unterwegs. Zwischen Mangenberg und Merscheid sind lediglich vier entgegenkommende Autos zu zählen. Auf Höhe des Industriemuseums zündet sich ein Mann im Trainingsanzug eine Zigarette an, bevor er sich mit seinem Hund an der Leine in Bewegung setzt. Die Halbzeitpause will sinnvoll genutzt sein.

 In der "Taverne zum Griechen" saß Betreiber Christos Michos alleine vorm Fernseher - und ärgerte sich.

In der "Taverne zum Griechen" saß Betreiber Christos Michos alleine vorm Fernseher - und ärgerte sich.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Kurz vor 23 Uhr brennt in der "Taverne zum Griechen" in Merscheid noch Licht - und der Fernseher flimmert. Den hat Christos Michos extra für die Fußball-Weltmeisterschaft gekauft und in seinem Restaurant montiert, damit seine Gäste auch während ihres Besuchs immer auf dem Laufenden sind. Gebracht hat es nichts. "Die WM war nicht gut fürs Geschäft", sagt Michos. "Wenn Deutschland spielt, ist es tot." Am vergangenen Freitag, am Tag des Viertelfinals gegen Frankreich, habe er beispielsweise sieben Gäste bewirtet. An diesem Abend waren es immerhin 17. "Um 21 Uhr jedoch waren alle weg, weil alle pünktlich zum Anpfiff zu Hause sein wollten. Gott sei dank ist am Sonntag alles vorbei." Jetzt sitzt der Grieche alleine vor dem Bildschirm und wettert bei einem Ouzo, dass dieses Spiel nichts mit Fußball zu tun habe: " Ich will gute, spannende und hart umkämpfte Spiele sehen. Aber doch nicht so etwas."

Abseits der Hauptverkehrsachse herrscht eine Atmosphäre wie tief in der Nacht. Gerade in eine Sackgasse unweit der Virchowstraße eingebogen, durchbrechen Jubelschreie das monotone Rauschen der nahe liegenden Viehbachtalstraße. Das Tröten und der langanhaltende blecherne Ton einer Vuvuzela kommen aus einer Abstell- und Werkzeugkammer, die Familie Fischer alle zwei Jahre zu großen Fußball-Ereignissen für Familie, Freunde und Nachbarn fürs gemeinschaftliche Mitfiebern umfunktioniert. "So ruhig und entspannt wie heute haben wir in den vergangenen Wochen noch kein Spiel geschaut", sagt Dirk Fischer. Ruhig ist anders. Beim siebten deutschen Treffer wird die 14-köpfige Gruppe so laut, als ob Andre Schürrle gerade erst den Einzug ins Finale perfekt gemacht hätte.

Es ist ein WM-Abend wie Tag und Nacht. Der Abpfiff in Belo Horizonte bedeutet den Startschuss für Hupkonzerte und Jubelfahrten durch Solingen. In Ohligs sind die Übermütigen unterwegs. Auf der Düsseldorfer Straße fährt ein Polo deutlich schneller, als es das Tempolimit erlaubt. Ein Typ, vielleicht Anfang 20, lehnt fast mit seinem gesamten Körper aus dem Seitenfenster, nur seine Unterschenkel sind nicht zu sehen. An den beiden Kreiseln an der Weststraße raucht es, nachdem ein paar von Silvester aufbewahrte Feuerwerkskörper gezündet worden sind.

Auf dem Weg zurück in die Innenstadt nimmt der Verkehr kontinuierlich zu. Weil die Konrad-Adenauer-Straße von der Polizei wie gewohnt nach Ende des Public Viewings im Theater und Konzerthaus gesperrt ist, müssen sämtliche Nachtexpress-Linien den Umweg über den Weyersberg nehmen. Die Haltestellen am Graf-Wilhelm-Platz werden erst gar nicht angefahren, stattdessen halten die Busse im Kreisverkehr und lassen hier Fahrgäste zusteigen. "Es ist ruhiger und weniger los als bei den bisherigen Deutschland-Spielen", sagt ein Polizist, der die nach Hause pilgernden Fans beobachtet. Das gilt auch für die gesperrte Kreuzung Konrad-Adenauer-Straße / Mummstraße, auf der sich rund 300 Jugendliche versammelt haben.

Es dauert noch eine ganze Weile, bis wieder die Ruhe eingekehrt ist, wie man sie in der Solinger City nach Mitternacht kennt.

(RP)
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