Prozess wegen Wohnungseinbrüchen auch in Solingen Diebstahl, Raub – und ein nicht enden wollendes Verwirrspiel

SOLINGEN/WUPPERTAL · Vor Jahren hatte er bereits in Essen auf der Anklagebank gesessen. Der Tatvorwurf: Schwerer Raub und Wohnungseinbruchsdiebstahl. Das Urteil: Sieben Jahre und sechs Monate Haft.

Zwischendurch war der mittlerweile 34-Jährige Angeklagte wegen seines Drogenkonsums in einer Entziehungsanstalt – nachdem er von dort geflohen war, ging’s für ihn zurück in die Zelle.

Vor der Inhaftierung waren jedoch weitere Straftaten hinzugekommen, unter anderem Wohnungseinbrüche in Solingen und anderen Städten in NRW. Die waren 2019 am Landgericht Wuppertal verhandelt worden, für den Angeklagten kamen dort weitere fünf Jahre und neun Monate Haft hinzu. Wegen eines Verfahrensfehlers hatte der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückgewiesen.

Und jetzt wird es wirklich kompliziert und ein Fall für die höhere Mathematik: Denn rechtskräftig ist bislang nur die Verurteilung aus Essen, dort sind bereits zwei Drittel der verhängten Strafe abgesessen und der Angeklagte könnte möglicherweise entlassen werden. Die Verteidigung spricht von „Überhaft“ – also von der Möglichkeit, dass der 34-Jährige länger inhaftiert ist, als eigentlich notwendig. Und das nur, weil die Sache mit den am Gericht in Wuppertal verhandelten Wohnungseinbruchsdiebstählen juristisch noch immer in der Pipeline hängt und erst jetzt – also fünf Jahre nach den angeklagten Taten – der Prozess neu aufgerollt wird.

Bei diesem Fall wird überdeutlich: Die Strafzumessung wird zuweilen zu einem Rechenspiel. Was am Ende dabei herauskommt, liegt nicht nur am Urteil selbst, sondern auch daran, wie es danach weitergeht. Kommt eine Ausweisung in das Heimatland infrage, könnte die schon nach der Halbstrafe erfolgen. Der Angeklagte fürchtet dort jedoch eine Racheaktion, nachdem sein in Albanien lebender Stiefbruder das Mitglied einer Familie getötet hatte, in der die „Blutrache“ gelte. Auch die ursprüngliche Einweisung in die Erziehungsanstalt hätte ihm zur Halbstrafe verholfen – von dort allerdings war er bekanntlich geflohen. Auch wenn er sich nach zwei Tagen bei seiner Therapeutin gemeldet hatte und nach einer Woche zurückkehrte: Die Maßnahme wurde abgebrochen, die Chance auf vorzeitige Entlassung war damit verspielt.

Und nun also die zweite Auflage des Prozesses am Wuppertaler Landgericht, inmitten derer der Vorsitzende Richter darüber nachdenkt, ob es wirklich Sinn machen würde, die Opfer der Einbrüche nochmals zu laden. Einige müssten nun schon zum dritten Mal aussagen, andere seien gestorben oder mittlerweile recht betagt, und man wolle sie inmitten der Corona-Pandemie nicht unnötig in Gefahr bringen. Zuhause war ohnehin niemand, als es im Oktober 2015 bis März 2016 zu den Einbrüchen gekommen sei. Im Gegenteil, der Angeklagte und ein Mittäter sollen sogar noch Ruhe und Muße gehabt haben, um in den Häusern die Rolladen herunterzulassen. Ein Ermittler sprach im Zeugenstand von „verwüsten“ und davon, dass man auf der Suche nach Bargeld und hochwertigem Schmuck jeden Zentimeter durchsucht und sogar die Matratzen hochgestellt habe.

Kompliziert wird es in diesem Prozess auch noch aus einem anderen Grund: Am Landgericht in Essen war ein Zuschauer noch aus dem Verhandlungssaal heraus verhaftet worden, nachdem der Angeklagte ihn dort einer Straftat bezichtigt hatte. Dessen Anwalt soll den 34-Jährigen zur Unterschrift einer eidesstattlichen Versicherung gedrängt haben. Nehme der 34-Jährige seine belastende Aussage zurück, werde der Bruder des Angeschuldigten – der zugleich der vermeintliche Mittäter bei den Wohnungseinbruchsdiebstählen gewesen sein soll – auch ihn nicht mehr belasten. Der Angeklagte unterschrieb, das Verfahren gegen den im Zuschauerraum verhafteten Mann wurde eingestellt. Auf die versprochene Gegenleistung scheint der 34-Jährige hingegen noch zu warten – genauso wie auf ein endgültiges Urteil im nunmehr dritten Prozess.

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