Ratingen Währungsreform: Für jeden gab's 40 Mark

Ratingen · Am 20. Juni vor 70 Jahren sollte die Einführung des neuen Geldes die Wirtschaft ankurbeln.

 Manfred Buer, der Ehrenvorsitzende der Lintorfer Heimatfreunde, hat noch Geldscheine aus der Zeit der Währungsreform.

Manfred Buer, der Ehrenvorsitzende der Lintorfer Heimatfreunde, hat noch Geldscheine aus der Zeit der Währungsreform.

Foto: Blazy Achim

Der ganz weite Blick erfasste als wichtigste Entscheidung für Nachkriegsdeutschland die Einführung der Mark - um die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung bringen zu können, benötigte man eine stabile Währung. Die geschichtliche Rückbesinnung und die persönliche Erinnerung an den denkwürdigen Tag der Währungsreform am 20. Juni 1948, als jeder mit 40 Mark ausgestattet wurde, sehen da schon anders aus, oft sogar rührend.

 Die Bäckerei Junker an der Bechemer Straße konnte nach der Währungsreform ihr Angebot deutlich erweitern. Auch im gegenüberliegenden Kaffee-Geschäft zeigte sich im Schaufenster das größere Sortiment.

Die Bäckerei Junker an der Bechemer Straße konnte nach der Währungsreform ihr Angebot deutlich erweitern. Auch im gegenüberliegenden Kaffee-Geschäft zeigte sich im Schaufenster das größere Sortiment.

Foto: Achim Blazy

So erinnert sich Klaus-Dieter Remmel: "Es war noch nicht genügend neues Geld in Münzen vorhanden. So wurden zunächst die alten Zehn-Reichspfennig-Münzen als Ein-Pfennig-Münzen verwendet. Für fünf und zehn Pfennige gab es anfangs kleine, einfach gedruckte Papierscheine. Und selbst die waren knapp." Sie waren so knapp, dass der Schaffner in der Straßenbahn statt Wechselgeld Fahrscheine ausgab. Die wiederum sollten irgendwann ungültig werden. Also unternahmen Mutter Remmel und ihre Kinder noch vorher einen Ausflug mit der Bahn in den Grafenberger Wald.

Günther Bräutigam wurde kurz nach der Währungsreform als Zeitungsbote bei der Rheinischen Post eingestellt. Die war neun Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Lizenz der britischen Militärregierung gegründet worden. "Dieser Tag bestimmte mein ganzes Berufsleben" sagt er heute.

Manfred Buer, feinsinniger Kenner historischer Zusammenhänge, mit einem unglaublichen Gedächtnis für Namen ausgestattet und Sinn für die kleinen, bemerkenswerten Dinge im Leben, erwähnt in einem Artikel in der Quecke über die Gaststätte "Zur Post" (heute CP, Christian Penzhorn), dass der Lehrer Franz Mendorf im Juni 1948 für eine kurze Zeit der reichste Mann in Lintorf war. "Am 20. und 21. Juni wurden in der 'Post' an jeden Lintorfer 40 Mark Kopfgeld ausgezahlt. Mendorf musste das Geld verwalten, bis der Tag x kam." So währte der Reichtum nicht lange.

Dieter Findeisen, heute 87 Jahre alt, hat ganz spezielle Erinnerungen an die Währungsreform. Er hatte mit einem Freund aus Leipzig "rübergemacht" und einen Job bei den Ziegelwerken Waltrop gefunden. Da erreichte ihn ein Brief seiner Mutter, die eine dringende Wunschliste schickte mit dem Hinweis, dass es im Westen jetzt doch alles gäbe und die Eltern doch auch alles für ihn getan hätten. Das setzte ihn so unter Druck, dass er den Kontakt nach Leipzig kurzerhand abbrach und erst viele Jahre später wieder aufnahm, als die Mutter krank wurde.

Fritz Rolauffs wiederum legte einen wahren Wettlauf hin, um an die 40 Euro zu kommen. Es war natürlich schon gerüchteweise bekannt, dass es um den 20. Juni 1948 eine neue Währung geben sollte. Rolauffs war seit April 1948 Lehrling beim Telegrafenbauamt in Düsseldorf, und genau um diese Zeit bei einem Zeltlager nahe der Lingesetalsperre im Sauerland. Den Personalausweis hatte er zu Hause gelassen. Dann erfuhr er, dass in der Jugendherberge in Ratingen gegen Vorlage des Ausweises 40 Mark ausgegeben würden. Sechs Jungen hatten keinen Ausweis mit, wollten aber das Angebot wahrnehmen und machten sich auf den Weg.

Sie brachen um 6 Uhr auf - ohne Frühstück -, hatten einen langen Fußmarsch, eine Autobus- und eine Zugfahrt vor sich. Und da waren sie erst einmal in Düsseldorf. Von dort musste Rolauffs noch nach Duisburg-Großenbaum, seinem damaligen Zuhause, um den Personalausweis zu holen. Er schwang sich dort aufs Rad, steckte eine Scheibe Schwarzbrot in die Tasche und strampelte in den Ratinger Busch zur Jugendherberge. Dort war die Geldausgabe aber schon um 13 Uhr beendet. Als die Verantwortlichen den abgekämpften Jungen sahen, packten die das Geld für ihn noch einmal aus.

Nach dem entsetzlichen Leid, das durch Zerstörung und Trennung, durch menschliche Verluste gekennzeichnet war, das zum gefährlichen Handel auf dem Schwarzen Markt gezwungen hatte, kam eine Zeit, die Dr. Erika Münster-Schröer, Archiv- und Medienzentrums-Leiterin, für einen Artikel in der Quecke mit Zeitzeugen erarbeitet hat. Da heißt es so einfach "Das Leben musste weitergehen." Das Leben ging weiter. Waren lagen plötzlich in den Auslagen, Straßen und Grundstücke wurden enttrümmert.

Erwähnt wird eine Frau von 70 Jahren, deren Haus durch einen Bombenangriff zerstört worden war. Sie machte sich daran, mit Unterstützung ihrer Familie die Ziegel zu putzen, bis genügend Material für den Bau eines Hauses mit vier mal acht Quadratmeter Grundfläche vorhanden waren. Dort lebte sie noch 21 Jahre.

Natürlich tat die Stadt das ihrige, um die Wohnungsnot zu lindern, die Flüchtlinge unterzubringen, Schulraum zu schaffen. "Nichts war nach dem Krieg noch so, wie es vorher gewesen war", schreibt Münster-Schröer. Die Vertriebenen und Flüchtlinge hatten ihre Heimat verlassen, die Einheimischen litten unter dem Erlebten und dem, was man 'Entwurzelungserfahrungen' nennen mag, alle mussten sich neu orientieren. Viele der Heimkehrer aus der Gefangenschaft waren unterernährt und krank und hatten Schwierigkeiten, sich wieder in ein ziviles Leben zu fügen. Es kam zu Entfremdung und Problemen damit, plötzlich wieder Ehemann und Familienvater zu sein. Und fast alle wurden für den Rest ihres Lebens stark geprägt vom Erlebten und davon, wie man Geld, Besitz, Reichtum und Armut einschätzt.

(RP)
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