Spurensuche in der Stadt So viel Frankreich steckt in Neuss

Neuss · Im Stadtgebiet lassen sich an vielen Orten Zeugnisse französischer Herrschaft entdecken. Eine Spurensuche mit Klaus Karl Kaster, stellvertretender Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals.

 Klaus Karl Kaster ist stellvertretender Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals.

Klaus Karl Kaster ist stellvertretender Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals.

Foto: Andreas Woitschützke

Diese Zeit hat noch immer sichtbare Spuren in der Stadt Neuss hinterlassen: Am 5. Oktober 1794 besetzten französische Truppen Neuss und wurden erst durch die Befreiungskriege wieder vertrieben. Der Abzug erfolgte am 14. Januar 1814. Tief eingegraben in das städtische Gesicht hat sich im wahrsten Sinne des Wortes der Nordkanal, der „Grand Canal du Nord“. Klaus Karl Kaster, stellvertretender Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals, erläutert mit spürbarem Enthusiasmus die Vision Kaiser Napoleons von einer Verbindung von Neuss bis Antwerpen: „Das sollte europäische Ausmaße haben“, sagt der Experte.

Die deutlichste Spur des Kanals befindet sich an der Kreuzung Nordkanalallee/Selikumer Straße. Dort trifft der am Rhein beginnende Kanal bei seinem westlich durch die Stadt verlaufenden Weg auf die Obererft am so genannten „Epanchoir“, welches den Wasserzufluss regelt. 1809 vom französischen Ingenieur Amaible Hageau konstruiert, umfasst es eine Schifffahrtsbreite bis zu 400 Tonnen: „So viel konnten hin und her bewegt werden“, weiß Kaster. Das Mauerwerk ist noch im Originalzustand zu bestaunen, während das große Staubecken und die gesamte Anlage 2017 für 1,3 Millionen Euro umfangreich restauriert wurden. Das kleine Funktionsmodell lädt zum Drehen an der Kurbel ein und lässt den Besucher die dahinter steckende Flutungstechnik besser verstehen. Ein Pavillon informiert ausführlich über die Wasserstraße, die nicht vollendet wurde. Aber zwischen Neuss und Neersen wurde sie noch lange für den Schiffsverkehr genutzt, worüber ein alter detaillierter Fahrplan samt Preisen Auskunft gibt. „Epainchor“ ist übrigens ein Kunstwort, welches sich vom Lateinischen „expandere“ für ausbreiten und erweitern ableiten lässt.

 Die Staustufe Napoleonswehr wurde in Zeiten Napoleons angelegt.

Die Staustufe Napoleonswehr wurde in Zeiten Napoleons angelegt.

Foto: Andreas Woitschützke

Auf dem Weg durch die Innenstadt lassen sich noch mehr Zeugnisse französischer Herrschaft entdecken, an denen viele oft ahnungslos vorbeilaufen. Das Zeughaus, heute „gute Stube“ der Stadt, erlebte unter der Besatzung Napoleons eine wechselvolle Geschichte. 1639 nach zweijähriger Bauzeit als Franziskanerkirche fertiggestellt, durfte dort zunächst weiter gebetet werden. Am 2. Juli 1807 wurde dem Orden dies aber verweigert – aus dem Gottes- wurde das Zeughaus: Es diente als Magazin (militärisches Vorratslager) für Waffen und andere militärische Ausrüstungsgegenstände.

Vom Zeughaus sind es nur wenige Schritte bis zum Quirinus-Münster – und der verblüffte Besucher kann am Portal ein in Stein gemeißeltes Zeugnis napoleonischer Herrschaft entdecken: die Hausnummer 23. „Die Franzosen haben die Gebäude nämlich einfach durchnummeriert“, erklärt Klaus Karl Kaster. Während der französischen Besatzung wurde auch diese Kirche entweiht und der Innenraum zum Getreidemagazin umfunktioniert. Die Stiftsgebäude verwandelten sich in Pferdeställe. Ein bedeutendes bauliches Kleinod, das eine große Rolle während der französischen Besatzungszeit spielte, ist das Haus Jordans an der Rheinstraße 16. Dort lohnt ein Innehalten und Betrachten am besten von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Erbaut im 18. Jahrhundert von den Familien Jordans und Hausmann – erkennbar am Allianzwappen am Giebel – residierte dort der von den Franzosen 1800 eingesetzte erste Bürgermeister von Neuss. Franz Joseph Jordans würde man heute als jungen Hoffnungsträger bezeichnen. Er war Nachfahre einer Neusser Ratsfamilie, erst 24 Jahre alt und hatte schon während seines Studiums in Göttingen mit den Idealen der Französischen Revolution sympathisiert. Jordans trieb die wirtschaftliche Entwicklung von Neuss entscheidend voran. 1804 wurde er zum Unterpräfekten des Bezirks Krefeld ernannt. Nach dem Ende der Besatzungszeit verließ er Neuss. Sein früherer Amtssitz fällt durch eine original erhaltene Fassade auf, die einem Neubau Anfang der 70er Jahre nicht zum Opfer fiel.

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