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Neuss Eine eigene Kapelle für Prikkers Fenster

Neuss · Bei der Sonderbund-Ausstellung 1912 wurden Johan Thorn Prikkers Fenster-Entwürfe für die Dreikönigenkirche zum ersten Mal gezeigt. Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln zeigt einen Nachbau des kapellenartigen Raums.

 Ausschnitt aus einem von Prikker entworfenen Fenster in der Dreikönigenkirche – das komplette Motiv ist auf der NGZ-Titelseite zu sehen.

Ausschnitt aus einem von Prikker entworfenen Fenster in der Dreikönigenkirche – das komplette Motiv ist auf der NGZ-Titelseite zu sehen.

Foto: Woi

Die Besucher muss der Anblick förmlich sprachlos gemacht haben. Waren doch die Eindrücke, die von den zahlreichen Werken berühmter französischer, niederländischer, schweizerischer, ungarischer und norwegischer Künstler ausgingen, schon atemberaubend genug, so dürfte der Eintritt in diesen ebenso zentralen wie besonderen Raum der "Sonderbund"-Ausstellung 1912 das noch übertroffen haben. 13 Meter hoch erhob sich der neun Meter lange und fünf Meter breite Raum, dessen Wände bespannt waren mit Jute-Stoff, und dessen Licht gefiltert wurde von Buntglasfenstern mit Szenen aus dem Leben Christi.

Wie gemacht schien der Raum für die Glasfenster von Johan Thorn Prikker in der legendären Sonderbund-Ausstellung am Aachener Platz in Köln, die heute als Meilenstein für den Durchbruch der Moderne in Deutschland gilt. Und doch war es nur ein schöner Zufall, dass Prikker seine Fenster in diesem von kirchlicher Größe geprägten Raum zeigen konnte. Er war schon da, als die Jury der Sonderbund-Ausstellung die 29 Säle der ehemaligen Halle für die Brüsseler Weltausstellung von 1910 auf die Künstler verteilten, und es gab keinerlei Zweifel daran, dass er für Prikkers Glaskunst genau richtig war. Dass der Künstler die drei von ihm präsentierten Glasfenster im Auftrag von Pfarrer Joseph Geller für die Neusser Dreikönigenkirche entworfen hatte, wurde einstweilen verschwiegen. Offensichtlich in der Befürchtung, mit dem Kölner Erzbischof in einen Konflikt zu geraten.

Geholfen hat das nichts, denn der soll die Fenster zum ersten Mal in eben dieser Ausstellung gesehen haben und von der modernen Formen- und Farbsprache geradezu entsetzt gewesen sein. Welche dieser Fenster, die sehr viel später ihren Weg in die Neusser Kirche fanden, damals gezeigt wurden, lässt sich nicht mehr feststellen, denn Fotos von der Kapelle existieren nicht — wohl aber enthusiastische Beschreibungen: "Hier stand man unmittelbar vor etwas Neuem, Großen, Ungeahnten", schwärmte ein Kritiker, "hier war endlich einmal etwas, vor dem man sich beugen musste. Flammengarben lohten empor, dunkelgrün und rot, blau und gelb, wie dunkle Schwaden sich mit roten Gluten mischen, voll Widerstreit der Kräfte, aus Nacht und Dunkelheit zu Licht und Auferstehung."

Die erzbischöfliche Behörde jedoch fand heraus, für welche Kirche die Fenster gedacht waren und verbot den Einbau. Pfarrer Geller wurde nach Duisburg strafversetzt, aber sein findiger und kunstsinniger Bruder Johannes versteckte die Fenster während des Ersten Weltkriegs im Keller seines Wohnhauses. 1919 gab die kirchliche Kunstkommission ihr Einverständnis für den Einbau, und zehn Jahre später durfte Prikker auch die Langhausfenster für Dreikönigen entwerfen.

Die Geschichte der Dreikönigenfenster ist indes nicht nur Teil der Stadtgeschichte, sondern der Kunstgeschichte schlechthin. Denn ihre Ablehnung bei jenen, die religiöse Themen nur in der Darstellung alter Meister akzeptierten, korrespondierte um 1912 mit der generellen Abneigung, das alte Kunstverständnis zu erweitern in Richtung Moderne. Ihre Vertreter mit all den großen Namen, derer sich heutige Museen rühmen, machten mit mehr als 600 Werken die Ausstellung zu einer beispielhaften Schau für alles, was danach kam. Heute wird der Effekt der Sonderbund-Ausstellung für die Kunst und auch für den Kunstmarkt mit dem der ersten Documenta 1955 verglichen.

Eine Ahnung davon, was dem Besucher damals geboten wurde, vermittelt derzeit eine Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum, die unter dem passenden Titel "Mission Moderne" einen Teil der damals gezeigten Kunst zeigt. Viele der Bilder sind verschollen oder befinden sich im Privatbesitz und werden nicht ausgeliehen, aber auch der Rest von mehr als 100 Werken von van Gogh, Pechstein, von Cèzanne bis Clarenbach und mehr noch der ausgezeichnete Katalog vermitteln einen Eindruck von der revolutionären Wirkung der Ausstellung.

Und auch für Thorn Prikkers Fenster wurde eine Kapelle eingerichtet. Zumindest ansatzweise vermittelt sie die Atmosphäre, die damals von diesem mystischen Raum ausgangen sein muss.

Info "Mission Moderne", Obenmarspforten, Köln, noch bis 30. Dezember

(NGZ/rl)
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