Moers Deutsches Sittengemälde auf der Bühne

Moers · Das Schlosstheater ist mit einer Uraufführung in die neue Spielzeit gestartet. Regisseurin Susanne Zaun richtet in ihrer Inszenierung "Wir sind Schmidt" den Fokus auf die deutsche Durchschnittsfamilie und will sie ad absurdum führen.

 Die Schmidts, das sind (v.r.) Magdalene Artelt, Frank Wickermann, Matthias Heße und Lena Entezami, die in der neuen Spielzeit zum Schlosstheater gestoßen ist. Patrick Dollas (l.) gibt die geheimnisvolle Nr. 5 - Nachbar, Freund der Ehefrau oder Kommentator.

Die Schmidts, das sind (v.r.) Magdalene Artelt, Frank Wickermann, Matthias Heße und Lena Entezami, die in der neuen Spielzeit zum Schlosstheater gestoßen ist. Patrick Dollas (l.) gibt die geheimnisvolle Nr. 5 - Nachbar, Freund der Ehefrau oder Kommentator.

Foto: Lars Heidrich/Schlosstheater

Die Wohnung einer deutschen Durchschnittsfamilie ist 89 Quadratmeter groß. In ihrem Bücherregal stehen zwei Bände "Harry Potter" sowie Exemplare von "Name der Rose" und "Darm mit Charme" Sie verdient netto 3360 Euro und investiert 45 Prozent ihres Einkommens in den Konsum. Typisch deutscher Durchschnitt? Regisseurin Susanne Zaun hat einfach mal Statistiken für bare Münze genommen und bringt mit "Wir sind Schmidt" ein vordergründig deutsches Sittengemälde auf die Bühne des Schlosstheaters, das nicht wirklich ernsthaft der deutschen Durchschnittsfamilie nachspüren will. Uraufführung war am Donnerstag. Die Zahlen, Daten und Fakten der Statistiker liefern der jungen Regisseurin die Grundlage für eine theatralische und recht humorige Versuchsanordnung, in der sie am Ende neue Fragen aufwirft: Wen repräsentiert die Durchschnittsfamilie? Und wer erkennt sich darin wieder?

Das Publikum erlebt die Schmidts in der Küche (das Bühnenbild hat Mamoru Iriguchi gestaltet, mit dem Susanne Zaun regelmäßig zusammenarbeitet.) Dort grüßt täglich das Murmeltier, wenn Vater, Mutter und zwei Kinder am Küchentisch zusammenkommen: Erst kräht der Hahn. Dann klimpert Geschirr und Besteck. Es wird geschlürft und gegrunzt, geredet wird aber kaum. Susanne Zaun lässt diese Szene in Variationen durch das gesamte Stück laufen. Wiederholung und Variationen prägen die Inszenierung. Dabei verrückt sie einzelne Sequenzen, bis am Ende ein absurdes Zerrbild entsteht. Es schleichen sich Störfaktoren ein. Per Beamer wird eine No-Signal-Botschaft übermittelt: kein Empfang. Die Schauspieler bilden einen Chor, der die Statistiken runter betet: die beliebtesten Mädchennamen, die regionale Verteilung von Namen wie Müller, Meier und Schmidt sowie die Anzahl der Arme, die der Deutsche durchschnittlich hat. Ironie lässt grüßen.

Für ihre Textfassung hat sich Susanne Zaun, die, wie sie selbst sagt, eine Vorliebe für "abseitige Texte" hat, Phrasen bedient, die man sonst nur in Deutsch-als-Fremdsprache-Büchern findet. Dementsprechend sprachlich mager sind zuweilen die textlichen Inhalte: "Was essen wir heute?", "Ich muss einkaufen gehen, weil wir Gäste erwarten" und so weiter. Gespielt werden die in Sprachbüchern dargestellten Szenen, die helfen sollen, Deutsch als Fremdsprache zu erlernen. Dabei kämpfen sich die fünf Schauspieler durch die deutsche Grammatik. Sätze werden wiederholt, wiedergekäut, umgestellt und letztendlich ganz zerfasert, bis sie den Sinn verlieren. Es werden solange neue Konditionalsätze gebildet, bis sich der Zuschauer letztlich doch fragen muss, worauf Susanne Zaun mit ihrer Inszenierung eigentlich hinaus will. Denn auf Dauer wird das fad. Die fünf Schauspieler stellen Stereotypen dar, die sich in immer neuen Variationen zum Heile-Welt-Familien-Foto aufstellen dürfen. Zaun lässt natürlich auch das Top-Klischee nicht aus, das in aller Welt als typisch Deutsch angesehen wird: Dirndl und Lederhose. Und Matthias Heße und Lena Entezami überzeugen mit einer bajuwarischen Gesangseinlage. Viel Raum bleibt Magdalene Artel, Frank Wickermann, Patrick Dollas, geheimnisvoll als Nr. 5 angekündigt, Matthias Heße und Lena Entezami für die schauspielerische Entfaltung aber nicht. Größte Herausforderung ist das Zusammenspiel im Chor, der selbst einen Kanon hervorragend intonieren kann. Die Regisseurin nutzt diesen Chor als theatrales Mittel, um ihre Inszenierungen auf eine zweite Ebene zu hieven. Die Idee klingt vielversprechend, die geschürten Erwartungen auf einen schrägen Theaterabend werden am Ende aber nicht so ganz erfüllt.

Die nächste Aufführung ist heute, Samstag, 19.30 Uhr, im Schloss. Weitere Vorstellungen am 5. und 12. Oktober. Karten unter Tel.: 02841 8834110.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort