Mönchengladbach Das große Aufräumen nach dem Ampel-Experiment

Mönchengladbach · Ein Bündnis versenkt, zwei Fraktionsvorsitzende auf dem Absprung und die fünf größten Parteien im Umbruch: Der Wahlkampf verspricht unübersichtlich zu werden. Eine erste Kostprobe gab es gestern im Rat. Der Kampf jeder gegen jeden ist eröffnet.

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Es ist die größte Konsens-Leistung, die die Mönchengladbacher Politik seit langem vollbracht hat: Einen Haushalt mit Spar-Druck vom Land, in dem Millionen Euro teure Tretminen versteckt waren, ohne feste Mehrheiten zu verabschieden. Das war politischer Realismus für Fortgeschrittene! Doch von der breiten Mehrheit, gar gemeinsamer Erleichterung, in letzter Sekunde, das Schlimmste verhindert zu haben, war gestern im Rat rein gar nichts zu spüren.

Stattdessen keilte da mit großer Wonne jeder gegen jeden: Die CDU trat der SPD vors Schienbein. Die rempelte extrem angefressen zurück. FDP und Grüne lebten ihre natürliche Feindschaft, die sie für die drei Jahre hatten übertünchen müssen, recht ungehemmt in wechselseitigen Verbal-Rüpeleien aus. Die Grünen attackierten dazu auch noch den SPD-Oberbürgermeister. Warum das alles?

Erstens: Einigkeit war noch so halbwegs am Mittwoch im Hauptausschuss. Gestern hat der Wahlkampf angefangen. Zwar sind es noch 182 Tage bis zur Kommunalwahl. Doch von denen wird jeder gebraucht. Denn zweitens war vielleicht noch nie so viel Umbruch wie jetzt in der Mönchengladbacher Politik — und zwar auf allen Ebenen.

Fangen wir strukturell an. Dass sich SPD, FDP und Grüne noch einmal zu einem politischen Bündnis zusammenfinden, ist ungefähr so wahrscheinlich, wie dass Marc-André ter Stegen zur SpVg 05/07 Odenkirchen wechselt. So verdienstvoll es war, dass die drei ungleichen Partner es in der Phase, als die CDU ausfiel, miteinander versucht haben, so dürftig ist das Ergebnis. Alle wesentlichen gemeinsamen Ziele — wie Gebührensenkung und Verkehrsentwicklungsplan — wurden deutlich verfehlt.

Da nun gar die ureigenen Bedürfnisse dreier Partner zu befriedigen waren, wurde eine Menge teurer Unfug verabredet. Beim teuersten aller Prestigeprojekte, der Stadtbücherei, versagte dem bis dahin wackeren Kapitän Lothar Beine auch noch sein persönliches Polit-Navigationssystem. Zwei der drei ehemaligen Fraktionsvorsitzenden bereiten sich nun in eher ereignislosen Rest-Monaten bis zum Mai auf ihr Polit-Rentnerdasein vor.

In einem der beiden Fälle ist das tragisch. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Beine hat letztlich vergebliche Kärrner-Arbeit leistet. Seine Aufgabe als Moderator, Umsetzer und immer wieder auch Kindergärtner im höchst komplexen Geflecht der drei Ampel-Parteien hätte wohl weniger geerdete Zeitgenossen in den Wahn getrieben. Beine hielt den Laden mit erstaunlichem Langmut zusammen Als er dann aus purer Not, weil es in vielen wichtigen Dingen nicht voranging, auch noch die Verwaltung zu führen versuchte, scheiterte er. Der Haushalt ist nach seiner wichtigen Detail-Vorarbeit urplötzlich nicht mehr Beines Haushalt. Andere haben die Mehrheit organisiert. Und dass der SPD-Oberbürgermeister — der Macht des Faktischen folgend — am Ende recht krachend umfiel, wird dafür sorgen, dass aus dem Duo Beine/Bude nun endgültig keine Männerfreundschaft mehr wird. Wie die neue SPD-Fraktion aussehen wird, wie sie sich inhaltlich aufstellen wird, mit welchen Parteien sie zusammenarbeiten mag, letztlich auch, wer sie führen wird — all das ist ungewiss.

Und auch bei den anderen Parteien ist viel im Fluss. Die CDU hat in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode entdeckt, dass man als stärkste Fraktion auch Politik machen darf. Der Moment, als die Christdemokraten zum ersten Mal die Führungsrolle beanspruchten, bescherte ihnen gleich einen beachtlichen Erfolg. Doch die CDU tauscht nicht nur einen Teil des Personals aus. Sie muss auch definieren, ob sie eine stabile Mehrheit im bürgerlichen Lager auf die Beine zu stellen versucht oder Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien auslotet.

Auf die Grünen könnte sie wohl nur dann zählen, wenn diese sich personell erneuern. Deren Parteitag steht noch aus. Gestern im Rat betonte Karl Sasserath die ur-grünen Positionen, die politisch einsam machen. Mit der SPD gibt es für die CDU indes mehr Gemeinsamkeiten, als alle Beteiligten wahrhaben wollen. Selbst die FWG ist nicht mehr das, was sie mal war — zum Beispiel die Partei, die prinzipiell den Haushalt ablehnt. Dass die Freie Wählergemeinschaft vergleichsweise unkompliziert ein konstruktives bürgerliches Bündnis unter Führung der CDU schmiedet, war nicht zu erwarten. Auch die heutigen parteiinternen Wahlen — die bisher nicht viel überraschender waren als weiland bei der SED — versprechen plötzlich einen Hauch von Spannung. Und auch bei der FDP gibt es Bewegung. Dass Dr. Anno Jansen-Winkeln als Fraktionsvorsitzender aufhört, dürfte an der inhaltlichen Ausrichtung wenig bis nichts verändern. Die Liberalen dürften aber aufgrund wahrscheinlich veränderter Umgangsformen ein begehrterer Bündnis-Partner werden.

Die Neujustierung der Mönchengladbacher Politik birgt jedenfalls deutlich mehr Chancen als Risiken.

(RP)
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