An(ge-)dacht "Meine Welt reicht bis zum 16. Stock"

Mettmann · Mitten hinein in meine frommen Gedanken auf dem Weg zum Gottesdienst dröhnte es aus dem geöffneten Fenster des neben mir haltenden Autos: "Mein Block. Steig ein, steig ein. Ich will dir was zeigen", singt Sido, hämmert es mir ein. Es dröhnt noch immer in meinem Kopf, beschäftigt mich.

 Pfarrvikar Gregor Schulte

Pfarrvikar Gregor Schulte

Foto: Archiv

Er beschreibt die kleine Welt, in der Träume platzen, aber auch keiner weg muss. Er singt von den Menschen, die sich zwischen hohen Mauern, dicker Luft und "ein paar Bäumen" ihren Lebensraum abgesteckt haben. Der Refrain: "Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block, meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom ersten bis zum 16. Stock." So klein ist die Welt, überschaubar, halbseiden, durchsichtig, mit Figuren, die sonst nirgendwo mehr hinpassen. Trotz der Härte - und einer rasanten und direkten Sprache - wird den Menschen im "Block" ein Denkmal gesetzt.

Ich traue mich nicht, dieses Lied ganz zu zitieren. Es passt nicht. Es passt nicht in meine geordnete Welt. Aber was heißt: Es passt nicht? Muss es in meinen Kopf passen? Wenn es in Gottes Herz passt? Denn von ihm weiß der Evangelist zu sagen: "Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat."

Welche Welt hat Gott so geliebt, dass er seinen Sohn für sie preisgab? Die gute - die gutmeinende? Die, die es verdient hat? Die sich längst bewährte? Aber: Liebe als Belohnung? Ist meine Welt nicht ebenso selbstgenügsam, wie die Welt, die Sido besingt? Eine Welt, die sich mit Ausschnitten zufrieden gibt? Gott für edle Zwecke braucht, aber jedem Menschen die Erfahrung aufnötigt, sich selbst behaupten zu müssen.

Wir haben Pfingsten gefeiert. Weil die Welt in viele Blöcke, Straßen, Viertel und Gedanken zerfällt, haben wir um den Geist gebeten - gebeten um die Kraft, über die eigenen kleinen Räume, vertrauten Traditionen und abgesicherten Erfahrungen hinauszugehen. Und: Weil die Phantasie nicht reicht, auch das Wissen nicht, schenkt Gott seinen Geist, schüttet ihn geradezu aus, großzügig und maßlos. Menschen, die sich fürchten, werden von der Angst befreit und zu Kindern Gottes erklärt, die das Erbe mit Christus teilen. Und weil auch das noch nicht reicht, wird Gottes Liebe bezeugt, die der Welt, der ganzen, versteht sich, zu teil wird.

Ich denke noch einmal an Sido. Es ist ein trotziges Lied. Es hämmert - man hört den Bass - Selbstbewusstsein und Stärke ein. Aber es führt nicht hinaus aus "...mein Zuhause, mein Block, meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt". Ich möchte mit Sido über sein Lied reden, weil ich glaube, dass es mit dem 16. Stock nicht zu Ende ist mit der Welt und dem Leben.

Pfarrvikar Gregor Schulte, Pfarre St. Lambertus Mettmann

(RP)
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