Krefeld Intendant als Felix Krull

Krefeld · Ein Abend so prickelnd wie Champagner: Michael Grosses "Thomas-Mann-Abend" hatte Premiere im Theaterfoyer.Mit unerschöpflichem Minenspiel und komödiantischer Lust schlüpfte er in die Rolle des Hochstaplers "Felix Krull".

Wer minutenlang den Korken einer Sektflasche beschreiben kann, ohne die Zuhörer zu langweilen, der beherrscht sein Metier. Thomas Mann kann sich gründlich und wortgewandt auslassen über die Schönheit der Sektflasche Marke "Loreley Extra Cuvée", er ergötzt sich an den Details des Etiketts und der Agraffe, jenes feinen Drähtchens, das den Sektkorken auf dem Flaschenhals fixiert, das in diesem Fall sogar vergoldet ist, – und das Publikum juchzt vor Vergnügen: Mit den "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" amüsiert Generalintendant Michael Grosse in dieser Spielzeit die Theaterbesucher im Foyer. Bei der Premiere gab es großen Andrang und großen Jubel.

Es ist ein Soloabend für einen Komödianten. Auf der mit drei Stühlen und einem Beistelltischchen bestückten schwarzen Guckkastenbühne scharwenzelt Grosse hin und her, zieht mal verächtlich eine Augenbraue hoch, senkt skeptisch die Mundwinkel oder reißt die Augen in großer Verwunderung auf. Er liest nicht, er deklamiert nicht – er schlüpft in die Rolle des Felix Krull – jenes Sohnes aus "feinbürgerlichem, aber liederlichem Hause", dessen Vater im Rheingau eine Schaumweinfabrik betreibt, wo das Erzeugnis, jener Loreley Extra Cuvée, rigoros Champagner heißen darf.

Theater als Illusionsbetrieb

Die Wahrheit ist prosaisch, die Eltern "langweilen sich bis zur Erbitterung miteinander". Doch der junge Felix hat Fantasie, eine scharfe Beobachtungsgabe und Witz. Schnell merkt er, dass Imagination und Blendwerk gesellschaftliche Tugenden sind.

Es ist eine Lust, wie Grosse mit variationsreicher Stimme die vergnügungssüchtige Gesellschaft beschreibt, wie er in einstündigem Monolog den Ton des katzbuckelnden Vaters und des beherzten Paten Schimmelpreester trifft, wie er die selbstgefällige Haltung des Heldentenors Müller-Rosé annimmt und dann in die maßlose Enttäuschung des jungen Felix gleitet, als der den strahlenden Stern der Operettenbühne völlig entzaubert in der Garderobe hocken sieht – in Trikot-Unterwäsche und mit Pickeln.

Grosse lässt nur kurz nachhallen, was zwischen Thomas Manns Zeilen steckt: das Theater als Illusionsbetrieb, der ironische Blick auf die Künstler, der Seitenhieb auf die Entwicklungsromane seiner Zeit und autobiografische Wimpernschläge.

Seit 1984 im Repertoire

Seit 1984 tritt Michael Grosse mit dem "Felix Krull" auf. Diese Vertrautheit ist spürbar. Von Routine gibt es kaum eine Spur. Das zeigt sich im Höhepunkt des einstündigen Abends: der Musterungsszene. Den rigorosen Regimentsarzt, den näselnden Assistenten und den pfiffigen Krull, der mit einer List seine Ausmusterung erreicht, lässt Grosse so schillern, dass er mit Szenenapplaus belohnt wird.

Die Literatur soll künftig einen festen Platz im Theaterspielplan bekommen. Solche Leseförderung trifft ins Schwarze, gerade weil Grosse dem Text Leben und Stimme gibt, aber ihn ohne große Effekte wirken lässt. Mit dem Thomas-Mann-Abend serviert er Champagner, auch wenn es um Loreley extra Cuvée geht.

(RP)
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