Theater Krefeld Fabelhafter Abend mit Michael Grosse

Krefeld · Der Theaterintendant hat für seinen Soloabend Fabeln von Aesop bis Brecht zusammengestellt. Lange vor Beginn der Premiere drängten sich die Besucher im Foyer der Heeder. Freunde gepflegter Sprache kamen auf ihre Kosten.

 Die Wahrheit hört man nicht gern, denn sie ist unbequem.

Die Wahrheit hört man nicht gern, denn sie ist unbequem.

Foto: Matthias Stutte

Wenn sich Menschentrauben vor der noch verschlossenen Saaltür drängen und sich die Zeit mit dem Austausch der Zeilen verkürzen, die sie gleich erwarten, dann steht nicht etwa das Popkonzert einer gehypten Band an - sondern ein Leseabend mit 2000 Jahre alten Texten: Vor dem Beginn der Theaterspielzeit auf der Großen Bühne hatte Intendant Michael Grosse zu einem Solo in die Fabrik Heeder eingeladen: Die szenische Lesung „Wer kann die Wahrheit nackend sehn?“ ist eine Reise durch die Fabeldichtungen von Äsop (um 600 vor Christus) bis Bert Brecht (1898-1956).

Dass Michael Grosse literarische Mauerblümchen prächtig erblühen lässt, hat sich seit seinem Balladen-Programm herumgesprochen. Entsprechend schnell war der Abend, der einer der ältesten Gattungen gewidmet ist, ausverkauft - obwohl mit einem wacker aufrechten Zeigefinger zu rechnen sein musste. Die Moral gehört zur Fabel wie die Symbolik.

 Michael Grosse trug Fabeln von Äsop {6. Jh. v. Chr.}, Jean de La Fontaine {1621 – 1695}, Gotthold Ephraim Lessing {1729 – 1781}, Iwan Andrejewitsch Krylow {1769 – 1844} und anderen vor.

Michael Grosse trug Fabeln von Äsop {6. Jh. v. Chr.}, Jean de La Fontaine {1621 – 1695}, Gotthold Ephraim Lessing {1729 – 1781}, Iwan Andrejewitsch Krylow {1769 – 1844} und anderen vor.

Foto: Matthias Stutte/© Matthias Stutte

Der Grieche Äsop hat seine Kritik an sozialen Missständen schon vor 2600 Jahren in feinsinnige Geschichten gehüllt, hat Frösche ihr Herrschaftssystem in Frage stellen lassen, mit Löwen, Füchsen, Eseln, Schafen und Hyänen Charakterzüge seiner Zeitgenossen versinnbildlicht. Wo Bäche und Wiesen sprechen, lässt sich unschuldig an allem rühren. Und wer lacht, stimmt zu, darf sich als Leicht-Revoluzzer unter Gleichgesinnten fühlen, ohne sich des Verrats schuldig zu machen. Das war lebensnotwendig - nicht nur zu Zeiten Äsops.

Jean de La Fontaine, der wohl berühmteste Fabeldichter, dessen geistreiche Geschichten Generationen von Französischschülern auswendig lernen,  hat in der Mitte des 17. Jahrhunderts mit geistreichen Vergleichen, feiner Ironie und manchmal auch bissigem Sarkasmus soziale Ungerechtigkeiten, Machtmissbrauch und Missstände im Staate Ludwig XIV. unters Volk gebracht. Etwa gleichzeitig hat in Deutschland Lessing die Moral mit solchen kurzen Texten hochgehalten. Grosse flaniert mit markanter Stimme durch die Texte aus zwei Jahrtausenden. Oft fließen die Geschichten nahtlos in einander, meist sind sie heiter. Oft wird gelcht, öfter noch geschmunzelt, nur selten geht es um den Tod, und dann wird es ernst und still. Das Licht auf der von Udo Hesse sparsam mit Stehpult, Tischchen und zwei Stühlen eingerichteten Kulisse wird dann kühl und blau. Mehr braucht es nicht für einen Abend, der die schöne Sprache zelebriert.

 Zu einer guten Fabel gehört immer auch die Moral. Fotos: Matthias Stutte

Zu einer guten Fabel gehört immer auch die Moral. Fotos: Matthias Stutte

Foto: Matthias Stutte

In 75 Minuten erleben die Zuschauer, dass Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Mut und Geduld zu allen Zeiten geschätzt wurden und das Leben mehr Möglichkeiten bietet als der Tod. Dazu hat Grosse längst nicht nur bekannte Fabeln ausgesucht, wie die vom Fuchs, der einer eitlen Krähe den Käse aus dem Schnabel fallen macht, weil er sie zum Singen komplimentiert. Texte unbekannterer Autoren wie Justus Friedrich Wilhelm Zachariae (1726-1777), von russischen Schreibern wie Iwan Andrejewitsch Krylow oder die „Freundschaftsdienste“ von Bert Brecht machen Lust, sie noch einmal nachzuschlagen. Bei Magnus Gottfried Lichtwer findet sich dann auch der Titel des Abends wieder: Die Fabel als Göttin aller Dichter wurde von Wegelagerern ihrer Kleider beraubt - bis am Ende die nackte Wahrheit übrig blieb und die Räuber flugs die Kleider zurückgaben und stöhnten: „Wer kann die Wahrheit nackend sehn?“.

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