Krefeld Blinder Bergsteiger

Krefeld · Der Krefelder Jörg von de Fenn ist seit seinem 22. Lebensjahr blind. Das hindert ihn aber nicht daran, die höchsten Berge zu bezwingen: den Großglockner zum Beispiel, den Ebrus im Kaukasus oder den Kilimandscharo. Momentan besteigt er den Ararat in der Türkei.

Sein Bergführer Toni hatte ihm damals, als sie den Großglockner bezwangen, gesagt: "Du kannst noch mehr! Du musst weitermachen!" Es war die Aufforderung an einen leidenschaftlichen Bergsteiger, eine eigentlich unmögliche Sache buchstäblich auf die Spitze zu treiben. Denn Jörg von de Fenn (41) ist seit 20 Jahren blind.

Der Krefelder war der erste Blinde, der auf dem Gipfel des Großglockners stand, dem höchsten Berg Österreichs mit knapp 3800 Metern. Ein alpinistisch herausfordernder Berg, der zwischen Vor- und Hauptgipfel einen schmalen Grat aufweist, den manche nur auf dem Hosenboden "hinüberreiten". Jörg von de Fenn aber ging aufrecht, wo es auf beiden Seiten 600 und mehr Meter steil abbricht. "Ich konnte nicht in die Tiefe schauen", sagt er mit trockenem Humor.

Sein Tourenbuch wäre auch für Menschen ohne Handicap eindrucksvoll: Zu seinem 40. Geburtstag stand er auf dem knapp 6000 Meter hohen Kilimandscharo; im selben Jahr bezwang er den Elbrus, einen eisigen Riesen im Kaukasus, geführt von einem Begleiter. Er übt an Kletterwänden, geht dreimal die Woche ins Fitnessstudio, betreibt Jiu Jitsu und Inline-Skating. Darin ist er seit 2007 gleich mehrfacher Deutscher Meister in seiner Klasse auf verschiedenen Distanzen.

Jörg von de Fenn erblindete im Alter von 21 Jahren nach einer Sehnerv-Entzündung innerhalb von wenigen Tagen. Er lernte die Blindenschrift, den Umgang mit Computer und Medien und den Beruf des Telefonisten. Er hatte die Hoffnung, dass er seine Sehfähigkeit zumindest zum Teil wieder gewinnen könne. Aber als er 26 Jahre alt war, kam nach einer weiteren Untersuchung aus der Uniklinik Tübingen der endgültige Befund eines Gendefektes: "Da habe ich mir abgewöhnt, mir größere Gedanken über meine Krankheit zu machen", sagt Jörg von de Fenn.

Bei von de Fenn, als Krefelder ein geborener Flachländer, ging es mit dem Bergsteigen erst los, als ihm klar war, dass er nie mehr etwas sehen würde. Zum Wandern kam er durch eine wanderfreudige Frau, die er dann auch heiratete. "Viele Leute trauen einem Blinden nichts zu. Ich zeige, dass es auch anders geht", sagt er. Für von de Fenn ist die Konzentration, die von ihm gefordert wird, eine Herausforderung, die er gerne und souverän annimmt. Die Bergführer, mit denen er seine Höhen bezwingt, sind voller Bewunderung. Bisweilen klettert er schneller, als sie ihm die Tritte und Griffe ansagen können. "Der Blinde kann alles, wenn er die richtige Assistenz hat", sagt Jörg von de Fenn. Und: "Ich kann nicht zu Hause auf dem Sofa sitzen und nichts tun, nur weil ich blind bin."

Dies war auch der Grund, warum er nach Berlin gezogen ist. Dort gibt es eine Bezirksgruppe für Blinde, da kann er einen Blindenstammtisch besuchen, der mit dem Bus erreichbar ist. Dort ist es auch leichter, einen Assistenten aufzutreiben, wenn er Inline-Skating trainieren will. "Aber auch die Ruhe in den Bergen gefällt mir", sagt von de Fenn. Der Blinde empfindet das Wetter anders als ein Sehender: wie die Luft sich bewegt, wie die Sonne scheint und wo sie steht. "Auch ein Berg riecht, die Felsen, die Erde zwischen den Felsen." Er spüre den Gipfel, weil er spüre, dass drum herum nichts mehr ist. Und man glaubt ihm, wenn er sagt: "Wenn ich den Gipfel spüre, brauche ich kein Panorama."

(RP)
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