Kreis Kleve Debatte über Inklusion im Goli-Kino

Kreis Kleve · Der Film "Ich.Du.Inklusion" des Kevelaerers Thomas Binn sorgte auch in Goch für ein volles Haus. Vor allem Lehrer, aber auch viele Eltern nutzten die Gelegenheit, Projektbeteiligten und anderen Fachleuten anschließend Fragen zu stellen.

 Schulleiter Johannes Nolte (v. li.), Mutter Andrea Franken, Karin Winkels-Brinkmann, Thomas Binn und Helga Hess vor der Debatte.

Schulleiter Johannes Nolte (v. li.), Mutter Andrea Franken, Karin Winkels-Brinkmann, Thomas Binn und Helga Hess vor der Debatte.

Foto: Gottfried Evers

Wer den kleinen Mattis weinend bei seinen Hausaufgaben gesehen hat, neben sich seine tapfere Mutter, die mit Engelsgeduld versucht, den Jungen fürs Lesen und Schreiben zu interessieren, der ist nicht nur traurig, sondern auch wütend. Der Film "Ich.Du.Inklusion" des Kevelaerers Thomas Binn ist im Mai in vielen Städten gelaufen - jetzt im Gocher Goli-Kino. Über die Frage, warum es so schwierig ist, das politisch gewollte Miteinander von Behinderten und Nicht-Behinderten zum Erfolg zu führen, debattierten im Anschluss an den Dokumentarfilm die Zuschauer mit Fachleuten. Wobei "vom Fach" wohl die meisten im Saal waren - Sonderpädagogen, andere Lehrer, Eltern, Behördenvertreter.

"Ich bin anders. Du auch" ist das Motto der Uedemer Grundschule, die Binn fast drei Jahre lang regelmäßig besuchte, um eine Inklusionsklasse mit der Kamera zu begleiten. Nach entsprechender Vorbereitung und dank vieler Gespräche begegneten ihm Kinder, Eltern und Lehrer mit großer Offenheit, was der Langzeit-Dokumentation gut anzumerken ist. Ein Film entstand, in dem am Ende keinesfalls "alles gut" ist - es handelt sich schließlich um die Wirklichkeit. Mehrere Kinder mit Förderbedarf haben die Regelschule inzwischen verlassen, vor dem Übergang auf die weiterführende Schule haben insbesondere die Eltern der Förderkinder erheblichen Respekt. Denn sie wissen inzwischen: Die Inklusion funktioniert nicht. Viel zu wenig Sonderpädagogen, überforderte Lehrer, fehlende Zusatzräume und Ausstattung. Kein Zufall, dass (nicht nur) im Kreis Kleve die Förderzentren als Alternative zum gemeinsamen Unterricht nach wie vor sehr gefragt sind.

Dominik Feyen als Schulaufsichtsbeamter für die Förderschulen sieht als größtes Problem, dass die benötigten Sonderpädagogen in der Ausbildung sind, dem Arbeitsmarkt aber eben noch nicht zur Verfügung stehen. "Mit der Brechstange" versuche das Land, den Auftrag zur Inklusion umzusetzen, ohne die nötigen Kapazitäten zu haben. "Die Lehrer erst auf den Markt zu bringen wäre richtig gewesen." Kollegin Karin Winkels-Brinkmann, Förderlehrerin in der Film-Klasse und inzwischen Rektorin in Rees, schlägt deshalb vor, für die Übergangszeit an den Schulen "multiprofessionelle Teams" zu installieren, also Sozialpädagogen, die die Lehrer unterstützen könnten. Denn Spezialisten, die mit gerade mal sieben oder acht Wochenstunden an eine Regelschule "abgeordnet" werden, können nicht allzu viel Hilfe bieten. "Schon gar nicht kann man mit so wenig Stunden das nötige Vertrauen bei den Kindern gewinnen", klagt die Klassenlehrerin.

Uwe Hasselmann, selbst Sonderpädagoge, moderierte die Runde, die von Fragen, die die Zuschauer auf Zetteln notiert hatten, angeregt wurde. "Frage an die Mutter: Wie empfinden Sie es, dass Ihr Kind nicht ausreichend gefördert wird?" Natürlich sei sie traurig und hilflos, wenn sie feststellen müsse, dass alles gute Wollen nicht genüge, erklärt Andrea Franken, deren Sohn Mattis Trecker fährt wie ein Großer, aber mit dem Lernen eben seine Schwierigkeiten hat.

Im Scherz fragt sie Schulrat Feyen, ob er nicht dafür sorgen könne, dass Mattis schon jetzt auf die Landwirtschaftsschule komme - wobei Berufsschulen sicherlich auch nicht besser auf die Inklusion vorbereitet sind. "Wie gehen Sie mit Ihrem Frust um?", wollte jemand wissen. Klassenlehrerin Helga Hess findet Kraft im Glauben, außerdem seien ein gutes Team in der Schule und Abschalten durch aktive Freizeitgestaltung wichtig.

Filmemacher Thomas Binn, selbst Sozialpädagoge und Vater, fasste zusammen, er bewundere alle, die sich bemühten, das Beste aus den Möglichkeiten rauszuholen - "aber schaffen kann man's nicht." Bei der Arbeit mit der Klasse sei er manchmal kurz davor gewesen, die Kamera auszumachen, weil die Situationen so belastend gewesen seien. "Dann habe ich gedacht: Das kann man eigentlich niemandem zumuten. Den Beteiligten nicht, und den Zuschauern auch nicht." Aber er wollte eben zeigen, wie es ist, und hat weitergemacht.

(RP)
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