Kempen Schwerer Stand auf dem AusbildungsmarktManchmal sogar ein Ersatz für das Elternhaus

Kempen · Die Lage für Hauptschüler auf dem Lehrstellenmarkt wird immer schwieriger. Der Anteil der Schüler, die nach der 10. Klasse eine Ausbildung beginnen, ist gering. „Die meisten entscheiden sich für eine Weiterqualifikation am Berufskolleg“, sagt Heiner Wirtz, Rektor der Kempener Martinschule. Die Mädchen und Jungen machen in den Klassen 9 und 10 je ein Praktikum. Es gibt Bewerbungstraining, man schreibt Lebensläufe, Firmen kommen in die Schule, ebenso die IHK und die Agentur für Arbeit. „In Sachen Berufsreife tun wir eine Menge“, versichert Wirtz.

Trotzdem steht am Ende die Erkenntnis: „Für eine bestimmte Zahl unserer Schüler gibt es keine Arbeitsplätze. Man kann nicht jeden gleich gut qualifizieren, und die Stellen als Handlanger oder Hilfsarbeiter existieren nicht mehr.“ Es gibt glücklicherweise auch Gegenbeispiele: Hauptschüler, die sich in Bewerbungsgesprächen gegen Realschüler durchsetzen oder in die gymnasiale Oberstufe wechseln.

Was Wirtz wichtig findet, aber vielfach ignoriert wird, sind die so genannten Sekundärtugenden wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Einsatzbereitschaft.

kempen Als 1968 die Hauptschule eingeführt wurde, war geplant, sie wirklich zur Haupt-Schule zu machen. Anfangs hatte sie tatsächlich einen Anteil von 50 Prozent, heute liegt der Anteil bei landesweit rund 16 Prozent. In Kempen sind es mit über einem Viertel deutlich mehr. Die Martinschule ist mit 720 Schülern eine der größten, wenn nicht die größte Hauptschule in Nordrhein-Westfalen.

Die Anforderungen von Elternhaus und Industrie seien immer weiter gestiegen, sagt Rektor Heiner Wirtz und erklärt damit die Verschiebung in Richtung Realschule und Gymnasium. In manchen Kommunen käme die Gesamtschule als Konkurrenz hinzu. „Man muss ernsthaft darüber nachdenken, ob man die Schulstrukturen nicht mittelfristig ändern muss.“ Nur wirklich Studierfähige sollten das Gymnasium besuchen, die anderen Schulen solle man zusammenfassen.

Je mehr Kinder beziehungsweise Eltern sich für Realschulen und Gymnasien entscheiden, desto stärker wird die Gefahr, dass für die Hauptschulen am Ende nur noch Randgruppen übrig bleiben. Was, so Wirtz, besonders in Großstädten der Fall sei. Viele der Schüler sind in diesem Umfeld überhaupt nicht integrationsfähig. Könnten es aber vielleicht sein, wenn sie Mitglied einer heterogeneren Lerngruppe wären.

Haben sich die Schüler in den letzten Jahrzehnten verändert? Es habe immer schwierige Kinder gegeben, bilanziert der Noch-Rektor. Was sich deutlich verschlechtert habe, sei der Kontakt zu den Eltern: „Viele kapitulieren vor der Erziehung ihrer Kinder, wir haben dann keinen Ansprechpartner mehr.“ Mehr noch: Viele Kinder werden allein gelassen, haben ihrerseits auch keinen Ansprechpartner mehr. „Das war früher nicht der Fall“, sagt Wirtz. Generell gelte, dass Kinder in den letzten Jahren mehr und bindungslos geworden seien. Lediglich der Sportverein funktioniere noch hier und da als integrierendes Element.

Welches Selbstwertgefühl haben Hauptschüler? Schüler und Eltern hätten es sich gewiss nicht zum Lebensziel gesteckt, den Hauptschulabschluss zu machen, sagt Wirtz: „Das erweckt Minderwertigkeitgefühle.“ Viele der Mädchen und Jungen würden sagen: „Wir sind ja nur Hauptschüler.“ Was sich dann oft ändere, wenn sie die Martinschule länger besuchten: „Sie fühlen sich bei uns gut aufgehoben. Die Lehrer kümmern sich nicht nur um den Unterrichtsstoff, sondern nehmen sich auch der Probleme der Kinder an.“

Wirtz erinnert sich noch gut an eine Abschlussfeier vor ein paar Jahren, als die Schülersprecherin gesagt haben, die Schule sei für viele Ersatz für das Elternhaus gewesen. „Da ist es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen.“

(RP)
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