Gruiten Wer Gruiten vor dem Ende bewahrte

Gruiten · Mit der Enthüllung eines Gedenksteins an der Brückenstraße erinnerte man vor einem Jahr in Gruiten an das mutige Handeln des Oberleutnants Johannes Baczewski. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges hatte der Kommandant des Ersatz-Bataillons 162 durch eine Kapitulation ohne Schusswechsel das Dorf vor der kompletten Zerstörung bewahrt.

Mit Udo Koch-Mehrin meldet sich nun ein Zeitzeuge zu Wort, der die Geschichte mit wichtigen Details ergänzen kann. Nach seiner Darstellung wäre die Entscheidung des Oberleutnants ohne das besonnene Handeln von drei Gruitener Bürgern möglicherweise anders ausgefallen.

Vormarsch der Truppen verhindern

Udo Koch-Mehrin war am 16. April 1945 elf Jahre alt. An die letzten Kriegstage kann er sich noch gut erinnern: "Überall im Dorf war die SS unterwegs und versuchte, die Menschen einzuschüchtern." So wollte man eine kampflose Aufgabe verhindern. Strategisch wichtig war es, die Bahnlinie Wuppertal-Düsseldorf zu verteidigen und gegebenenfalls die Eisenbahnbrücke zu sprengen, um das Vordringen der alliierten Truppen ins Ruhrgebiet zu verhindern.

"Dass dies ein aussichtsloses Unterfangen war, muss allen klar gewesen sein", sagt der heute 78-Jährige. Den anrückenden Truppen hatte man ungefähr 500 Mann mit Maschinengewehren und einigen Panzerfäusten entgegenzusetzen.

"Dennoch wäre Baczewski als gehorsamer Soldat seinem Eid auf den ,Führer' ohne Frage nachgekommen, wenn ihn nicht in der Nacht vor der entscheidenden Schlacht drei beherzte und mutige Gruitener in seinem Gefechtsstand, der sich im Keller des Hauses Lohhoff an der heutigen Bahnstraße 28 befand, aufgesucht und ihn von der aussichtslosen Lage überzeugt hätten", so Koch-Mehrin.

Die drei Männer Walter Lohhoff, Kirchenmeister der evangelisch reformierten Gemeinde, Prälat Bernhard Marschall, Pastor der katholischen Gemeinde, sowie der stellvertretende Amtsleiter Wilhelm Friederichs mussten vorsichtig sein, denn nach geltendem Militärrecht hätte man sie bei diesem Vorhaben als "Rädelsführer und Befehlsverweigerer" standrechtlich erschießen dürfen.

Das Gespräch hat auf den damals 23-jährigen Oberleutnant Baczewski Eindruck gemacht. Nach der Rückkehr aus seiner Kriegsgefangenschaft schickt er einen Brief nach Gruiten, darin schreibt er: "Sehr geehrter Herr Lohoff, (...) Ihr Einfluss, Ihr Alter und Ihre grauen Haare waren es, die mir am 16. April 1945 den richtigen Weg wiesen. Ich war ja damals noch so jung und ohne Sie hätte ich bestimmt die einzig richtige Handlungsweise nicht gefunden."

Alle drei Herren standen vor und nach der entscheidenden Gesprächsrunde mit Johannes Koch, Pastor der evangelisch reformierten Gemeinde und Vater von Udo Koch-Mehrin, in ständiger Verbindung. "Mein Vater hat die Familie, wenig später, als die Gefahr vorbei war, eingeweiht und uns die ganze Geschichte erzählt", berichtet Koch-Mehrin.

Das Ergebnis der Verhandlungen in jener Nacht: Gruiten wurde durch Baczewski kampflos an die alliierten Truppen übergeben, die Eisenbahnbrücke nicht gesprengt. Unnötiges Blutvergießen konnte so verhindert werden. "Das Gespräch der drei Männer war von entscheidender Bedeutung für den weiteren Bestand der damaligen Amtsgemeinde Gruiten, und es steht gleichrangig neben den unbestreitbaren Verdiensten des Oberleutnants und seiner Offiziere."

(anre)
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